Die irakischen Regierungstruppen versuchen, die Stadt Tikrit im Norden von Bagdad zurückzuerobern. Dabei haben sie Erfolg: Einige Quartiere in Tikrit sind wieder in Hand der Regierungstruppen. Aber es fällt auf: Neben den irakischen Flaggen wehen immer öfter auch die gelben Flaggen von schiitischen Kämpfern, die auch vom Iran unterstützt werden.
SRF: Wie stark ist eigentlich der Iran in diesen irakischen Truppen engagiert?
Guido Steinberg: «Es ist dort sehr viel Iran drin. In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass die effektivsten militärischen Kräfte im Kampf gegen den IS in der Gegend von Bagdad schiitische Milizen sind. Und das sind nicht einmal reguläre Truppen, sondern Milizen, die von iranischer Seite teilweise gegründet oder kontrolliert werden und auf jeden Fall vom Iran ausgebildet werden. Es dürfte auch in Tikrit so sein, dass diese Milizen dort die dominierende Kraft sind. Leider gibt es sehr wenige irakische Regierungstruppen, die wirklich funktionieren.»
Und wie kommt das bei den Leuten in Irak an?
Bei einem Teil der Bevölkerung kommt das sehr gut an, nämlich bei den Schiiten, also der Mehrheit von 60 Prozent der Bevölkerung im Land. Aber die Leute, um die es jetzt geht, nämlich die Sunniten, bei denen kommt das sehr schlecht an. Die haben nämlich immer noch den Bürgerkrieg von 2005 bis 2007 in den Knochen, als genau diese schiitischen Milizen ganz grausame Verbrechen an der sunnitischen Zivilbevölkerung verübt haben.
Und es ist ja gerade das Problem, das viele Sunniten den IS zwar nicht mögen, aber die Regierung in Bagdad noch mehr hassen und die Schiiten im Land und auch die schiitischen Milizen noch mehr fürchten. Wer also eine erfolgreiche Politik gegenüber diesen Sunniten-Gebieten führen will, der muss eigentlich mit sunnitischen Truppen vorgehen und nicht mit schiitischen Milizen.
Gibt es denn dazu eine Abmachung zwischen dem Westen, etwa den USA und dem Iran?
Ich denke nicht, dass es da eine ausdrückliche Vereinbarung gibt. Aber seit Jahren ist zu beobachten, dass die Amerikaner in Bagdad mit Iran um Einfluss konkurrieren, und meines Erachtens ist der iranische Einfluss heute schon grösser als der amerikanische. Sie akzeptieren im Moment, das schiitische Milizen an der Bekämpfung von IS beteiligt sind. Aber sie haben in den letzten Wochen immer wieder gesagt, dass sie vor allem Sunniten an diesem Kampf beteiligen wollen. Sie wollen den Sunniten im Land zeigen, dass es eine Alternative gibt und dass dieser irakische Staat für sie auch eine politische Option darstellt. Das wird nicht gelingen, wenn die Streitkräfte des Landes so stark von schiitischen Kräften bestimmt werden.
Dem Westen ist die Präsenz des Iran im Irak wohl auch nicht mehr geheuer?
Sie war dem Westen nie geheuer. Allerdings war das eine notwendige Folge des Regimewechsels von 2003. Schiiten stellen nun einmal 60 Prozent der Bevölkerung und in diesem Bevölkerungsteil hat es der Iran sehr früh geschafft, Einfluss zu gewinnen.
Unter anderem deshalb, weil viele der schiitischen Politiker, die heute im Irak an der Macht sind, ihre Jahre im Exil vor 2003 im Iran verbracht haben oder iranische Unterstützung erhalten haben. Dieser starke iranische Einfluss in Bagdad ist nicht mehr zurückzudrehen.
Kann man denn dem Iran unterstellen, das Ziel zu haben, den Irak ganz kontrollieren zu wollen?
Ich denke, dass die Iraner ihren neuen Einfluss im Irak positiv sehen. Man muss aber darauf hinweisen, dass das primäre Motiv der Iraner immer defensiv war. Der Iran wurden in den 1980er-Jahren vom Irak angegriffen und der blutige Krieg von 1980 bis 1988 forderte bis zu einer Million Todesopfer. Es ist der dringende Wunsch der politischen Elite des Iran, zu verhindern, dass der Irak noch einmal so stark wird.
Das Gespräche führte Simon Leu