Die Extremisten-Organisation Islamischer Staat (IS) hat die Kontrolle über die antike syrische Stadt Palmyra vollständig übernommen. Laut staatlichen syrischen Angaben begannen regierungstreue syrische Milizen daraufhin mit der Evakuierung der Stadt. In und um die Wüstenstadt gab es schwere Kämpfe, wie das staatliche Fernsehen berichtete.
Ein Aktivist in Palmyra bestätigte dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, dass die syrische Armee zurückgewichen sei und die Terrormiliz die Stadt eingenommen habe. Viele Familien hätten die Flucht ergriffen.
Syrische Armee will Verstärkung schicken
Der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Grossbritannien – sie steht der syrischen Opposition nahe – sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Dschihadisten hätten ein Gebäude der Sicherheitskräfte nur «wenige hundert Meter entfernt» von der Unesco-Weltkulturstätte erobert. Die historisch wertvollen Bauten liegen im Südwesten der Stadt.
Es hielten sich aber noch viele Soldaten bei einem Gefängnis im Osten der Stadt auf sowie beim Sitz des Militärgeheimdienstes im Westen. Die Erkenntnisse der Beobachtungsstelle stammen aus einem Informantennetzwerk vor Ort. Sie können von unabhängiger Seite kaum überprüft werden.
Ein ehemaliger General der syrischen Armee mit Kontakten zu den Streitkräften sagte, das Assad-Regime wolle weitere Kämpfer nach Palmyra schicken, um die demoralisierten Truppen vor Ort gegen den heftigen Ansturm des IS zu verstärken. Die Regierungskämpfer hätten Probleme, ihre Stellungen in der Stadt zu halten.
Mit einer möglichen Eroberung Palmyras wäre für die IS-Kämpfer auch der Weg in die grösstenteils vom Regime gehaltene Stadt Homs frei.
IS in Syrien auf dem Vormarsch
Nach der Eroberung Palmyras kontrolliere der IS nun rund 40 Prozent der Fläche Syriens, sagte der Leiter der Menschenrechtsbeobachter, Rami Abel Rahman, der dpa. Die Extremisten hätten zudem fast alle Ölfelder des Landes eingenommen. Der IS finanziert sich zu einem grossen Teil aus dem Ölschmuggel.
Auch in Nordsyrien verlor das Regime in Kämpfen gegen Islamisten an Boden. In der Provinz Idlib rückte das Rebellen-Bündnis Dschaisch al-Fatah nach Berichten von Oppositionsmedien auf die Stadt Aricha vor. Die radikale Al-Nusra-Front, der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al Kaida, und ihre Verbündeten hatten am Dienstag den letzten grossen Militärstützpunkt des Regimes in der Region eingenommen. Bei Luftangriffen der Regierung starben in Idlib mehr als 70 Menschen, darunter 22 Zivilisten.
Unseco ruft zum Schutz der Ruinen auf
Palmyras gut erhaltene Ruinen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Unesco rief zum dringenden Schutz der Stätte auf. Die Chefin der Kulturorganisation der Vereinten Nationen bezeichnete die Oasenstadt in Syrien als eine der wichtigsten antiken Stätten im Nahen Osten; diese sei durch die Angriffe der Terrorgruppe IS akut in Gefahr.
Die Weltgemeinschaft müsse alles tun, um die antiken Ruinen, aber auch die Zivilbevölkerung von Palmyra, zu schützen. In Nordirak hatten IS-Anhänger im Frühjahr einmalige Kulturstätten aus altorientalischer Zeit zerstört.