Die irakische Flagge wehe wieder vom Gebäude der Provinzverwaltung in Tikrit, sagte der irakische Premierminister Haidar al Abadi schon am Dienstag. Um die Vertreibung der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staats aus Saddam Husseins Heimatstadt zu vermelden und für sich und seine irakischen Regierungstruppen zu reklamieren, unterbrach er sogar eine Rede.
Iraks Polizei sorgt nun für Sicherheit
Zu diesem Zeitpunkt tobten allerdings noch Kämpfe in den nördlichen Quartieren Tikrits. Der Premier zeigte sich deshalb tags darauf auch persönlich an Ort und Stelle, um dem Irak und der Welt deutlich zu machen, dass die dunkle Zeit dort nun definitiv zu Ende sei. Es war ein Dreivierteljahr unter dem religiös verbrämten Terrorregime.
Im letzten Juni war den Sharia-Extremisten des IS der schnelle Vormarsch durch die sunnitsichen Provinzen gelungen, die irakische Regierungsarmee wurde spektakulär in die Flucht geschlagen. Nun seien die regulären Kräfte zurück, betonte Abadi. Die iraksche Polizei werde unter der Leitung des Gouverneurs in Tikrit für Sicherheit sorgen, versprach er.
Umstrittene schiitische Milizionäre
Doch Reporter berichteten, dass schiitische Milizionäre beim Plündern von Läden beobachtet worden seien. Sie spielten bei der Eroberung der Stadt eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Rolle. Manche der schiitischen Milizen werden nicht vom Irak sondern vom Iran gesteuert und schwerer Menschenrechtsverstösse bezichtigt.
Es stellt sich die Frage, ob Abadi stark genug ist, sie in die Schranken zu weisen und an Rachezügen zu hindern. Auch davon wird abhängen, ob der Premier die sunnitische Bevölkerung für die Sache der iraksichen Regierung zurückgewinnen kann. Zweifel daran gibt es nicht nur in Tikrit.
Verzögerungen bei der Befreiung Mossuls
Auch in der westlichen Wüstenprovinz Anbar hält sich die Terrormiliz. Ebenso in Mossul, der zweitgrössten Stadt des Iraks. Noch vor Kurzem wurde die Grossoffensive auf Mossul mit gewaltigem Werbeaufwand schon für den Frühling angekündigt. Doch nun ist davon nicht mehr die Rede.
Zwar trainieren auch sunnitische Kräfte, um das mehrheitlich sunnitische Mossul von der ebenfalls sunnitsichen IS-Terrormiliz zu befreien. Doch offensichtlich sind sie noch nicht bereit für einen Angriff. Premier Abadi wäre wohl abermals auf die Hilfe der umstrittenen schiitischen Milizen angewiesen, um Mossul den Dschihadisten zu entreissen. Und Mossul ist nicht Tirkit: kein Provinzhauptstädtchen, sondern eine Millionenmetrople.
Bei Damaskus auf dem Vormarsch
Dass der IS Rückschläge hat hinnehmen müssen, aber noch längst nicht bezwungen ist, zeigte sich dieser Tage auch sechshundert Kilometer weiter westlich. Exakt am Tag der Niederlage in Tikrit lancierte der IS im Nachbarland Syrien einen spektakulären Vorstoss bis vor die Tore der Hauptstadt Damaskus, wie politische Aktivisten vor Ort berichteten.
Es gelang den IS-Kämpfern, vorübergehend grösse Teile von Yarmouk zu kontrollieren. Das ist eine palästinensiche Vorstadt von Damaskus, die schon vorher vom Krieg schwer gezeichnet war. Die Kämpfe mit lokalen Rebellenverbänden verschoben sich sodann an den Rand von Yarmouk und in ein Nachbarquartier.
Dort hat die Terrormiliz in den letzten Wochen offensichtlich eine ganz neue Basis aufgebaut. Und dies nicht in ihrem Kernland, dem sunnitischen Wüstengebiet beidseits der syrisch-irakischen Grenze, sondern nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt vom syrischen Präsidentenpalast.