Das Wichtigste in Kürze:
- Als Reaktion auf die UNO-Resolution zur Siedlungsfrage hat Israels Premier Benjamin Netanjahu mehrere Treffen mit Staatschefs abgesagt und diverse Botschafter einbestellt.
- Den USA warf Netanjahu «Konspiration mit den Palästinensern» vor.
- Der Historiker und Israel-Forscher Michael Brenner glaubt nicht, dass diese Haltung den Israelis längerfristig zum Guten gereichen wird.
SRF News: Wie sind die Reaktionen in Israel zu den von Premier Netanjahu angeordneten diplomatischen Massnahmen nach Verabschiedung der Resolution im UNO-Sicherheitsrat?
Michael Brenner: Sogar die stellvertretende Aussenministerin aus Netanjahus Partei hat gesagt, sie würde lieber auf Gespräche setzen. Stattdessen muss sie nun Termine, wie den Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten stornieren – und Botschafter zum Protest einbestellen. Was die israelische Bevölkerung angeht, so herrscht nicht nur bei den politisch links orientierten Israelis grosse Überraschung bis Entsetzen über Netanjahus Reaktion. Auch in seiner eigenen Partei sind nicht alle mit ihrem Premier einverstanden. Einige fragen sich, ob Netanjahu da nicht mit Kanonen auf Spatzen schiesse.
Wie ist Netanjahus heftige Reaktion zu erklären?
Zum einen verspürt Netanjahu durch die bald antretende neue US-Administration unter Präsident Donald Trump Aufwind. Dieser hat signalisiert, Netanjahu und seine Politik unterstützen zu wollen – auch in der Siedlungsfrage. Zum anderen spürt die israelische Regierung auch ein neues Selbstbewusstsein. In den vergangenen Jahren hat sie sich viele neue Freunde geschaffen, etwa durch den Export von Antiterror-Strategien oder Cybersecurity-Technik.
Israel sollte sich die Freundschaften mit Grossbritannien oder Frankreich warm halten – anstatt diese Länder zu verärgern.
Hätte Israel – neben den diplomatischen Massnahmen – auch andere Möglichkeiten, auf die Resolution des UNO-Sicherheitsrats zu reagieren?
Sicher. Israel hat viel Erfahrung mit anti-israelischen Resolutionen in der UNO, der Unesco oder anderen Internationalen Organisationen. Auch hat die stellvertretende israelische Aussenministerin einen möglichen Weg formuliert – nämlich auf diplomatischem Weg zu versuchen, die Vertreter der anderen Länder vom israelischen Standpunkt zu überzeugen.
Vordergründig hat sich vor allem die Tonalität im Disput um die Siedlungspolitik geändert. Ist auch eine neue Dynamik in der umstrittenen Frage feststellbar?
Die israelische Reaktion zeigt, dass man mit der neuen US-Regierung unter Präsident Trump mit einer neuen Ära rechnet – und einer neuen diplomatischen Sprache. Netanjahu spricht die Sprache, die Trump spricht – oder auch Russlands Präsident Wladimir Putin. Es scheint, dass die israelische Regierung daran ist, die Sprache und die Tonalität in ihren Aussagen umzustellen.
Bei Trump besteht die Gefahr, dass er etwas sagt, das sich selbst widerspricht.
Wie gross schätzen Sie das Risiko ein, dass sich Netanjahu in Trump täuschen könnte und am Ende doch nicht alles in der von ihm erhofften Richtung ändert?
Vorerst besteht auch das Risiko, dass Präsident Barack Obama in den nächsten drei Wochen noch Massnahmen ergreifen kännte, die der israelischen Regierung nicht gefallen könnten – etwa an der Pariser Nahost-Friedenskonferenz Mitte Januar. Und bei Trump besteht tatsächlich die Gefahr, dass er etwas sagt, das sich selbst widerspricht. Oder dass er manches so durchführen möchte, wie er es gar nicht durchführen kann.
Wie wird sich die Trump-Administration beim Thema Israel/Nahost denn positionieren?
Es gibt erste Signale. Das bisher wichtigste für die israelische Regierung ist die voraussichtliche Bestellung des neuen US-Botschafters in Israel, David Friedman. Er ist ein Gegner der Zwei-Staaten-Lösung und ein Befürworter der israelischen Siedlungspolitik. Ob dies am Ende im Interesse Israels ist, bezweifeln selbst viele Israelis.
Wenn Sie dem israelischen Ministerpräsidenten empfehlen könnten, wie er sich verhalten soll: Was würden Sie ihm sagen?
Er würde wohl wenig auf mich hören. Allerdings glaube ich, dass es für Israel längerfristig von Vorteil wäre, gerade gegenüber Verbündeten den positiven Ton zu pflegen. Man sollte sich die Freundschaften mit Grossbritannien, Frankreich oder der Ukraine – Präsident Poroschenko hätte gerade jetzt Israel besuchen sollen – warmhalten, anstatt diese Länder zu verärgern.
Das Gespräch führte Daniel Eisner.