Die vorgezogene Parlamentswahl in Israel hat mit einer etwas höheren Wahlbeteiligung als vor vier Jahren begonnen. Sieben Stunden nach Öffnung der Wahllokale hätten 38,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben und damit schon mehr als halb so viele wie 2009 insgesamt, berichtete die israelische Zeitung «Haaretz» auf ihrer Website.
In Israel sind etwa 10'000 Wahllokale geöffnet. Mehr als 5,6 Millionen Stimmberechtigte sind aufgerufen, die 120 Mitglieder der Knesset neu zu bestimmen. Und es sieht gut aus für Benjamin Netanjahu.
Selbst seine politischen Gegner zweifeln kaum noch an einem erneuten Sieg des Konservativen. Seine Partei Likud hat unmittelbar nach der Bekanntabe der Neuwahlen mit der Rechtspartei «Unser Haus Israel» des bisherigen Aussenminsters Avigdor Lieberman fusioniert.
Lieberman ist zwar nach Anklageerhebung wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten, der hemdsärmlige Einwanderer aus Moldawien verliert deswegen beim Wahlvolk keine Sympahtien.
Bedrängt von rechtsaussen
Allerdings ist die Machtbasis von Netanjahu in den Umfragen der vergangenen Wochen von fast 40 auf etwa 32 der insgesamt 120 Knesset-Sitze geschrumpft. Profitiert hat davon vor allem die Siedlerpartei «Das Jüdische Haus» (Habait Hajehudi) von Naftali Bennett. Der religiösen Rechtsaussen-Partei werden 14 Sitze zugetraut.
Der Selfmade-Millionär Bennett hat ein Konzept mit Sprengkraft vorgelegt: In einem «Stabilitätsplan» plädiert er für die Annexion von 60 Prozent des Westjordanlandes.
In den betroffenen Gebieten liegen alle grösseren Siedlungen – hier leben rund 150'000 Palästinenser. Bennetts «Einstaatenlösung» wäre das Ende des Friedensprozesses, darin sind sich alle Lager einig.
Neben Bennett ist die strengreligiöse Schas-Partei orientalischer Juden ein weiterer Koalitionspartner für Netanjahu. Sie kann mit zwölf Sitzen rechnen.
Zerstrittene Mitte
Der Versuch dreier Parteien der politischen Mitte, einen Block gegen Netanjahu zu bilden, ist kläglich gescheitert. Kadima, mit 28 Sitzen bisher grösste Partei im Parlament, könnte nun sogar an der 2-Prozent-Hürde scheitern. Schaul Mofas hat zwar den Machtkampf um den Parteivorsitz gegen ex-Aussenministerin Tzipi Livni gewonnen, kann der Partei aber kein eigenes Profil geben.
Kadima war 2005 von Ministerpräsident Ariel Scharon gegründet worden. Sein Nachfolger war Ehud Olmert, der später über Korruptionsvorwürfe stürzte. Er soll kurz vor seinem Sturz sehr nahe an einer Vereinbarung mit den Palästinensern gewesen sein.
Livni hat wenige Monate nach ihrer Abwahl als Kadima-Vorsitzende eine eigene Partei «Die Bewegung» gegründet. Ihr werden acht Sitze zugetraut.
Comeback der Arbeitspartei
Unter Spitzenkandidatin Schelly Jachimowitsch scheint die über Jahrzehnte bestimmende Arbeitspartei Israels wieder da zu sein. 2009 unter Barak auf nur 13 Sitze geschrumpft und 2011 gepalten, sehen Umfragen sie nun wieder als zweitstärkste Kraft. Die 53jährige Ex-Journalistin Jachimowitsch positionierte die Partei als Anwältin der Sozialprotest-Bewegung, die seit 2011 die zunehmende Verarmung der arbeitenden, gebildeten Mittelschicht Israels auf die Tagesordnung gebracht hat. Ihr werden etwa 17 Mandate vorhergesagt.
Im Nahost-Konflikt ist die Partei, die in langer Tradition von Politikern wie David Ben-Gurion, Jitzhak Rabin und Shimon Peres steht, weniger kompromisslos als der Likud. Jachimowitsch kündigte an, die Übergabe von Bezirken in Ost-Jerusalem an einen künftigen Palästinenser-Staat zu unterstützen. Mit Netanjahu will sie nicht zusammenarbeiten.
Die liberale Jesch Atid des früheren Fernsehjournalisten Jair Lapid ist die zweitgrösste Mitte-Partei. Er hat einen Eintritt in eine Regierung Netanjahu nicht völlig ausgeschlossen.