Nach der schweren Erdbebenserie in Mittelitalien ist die Zahl der Obdachlosen allein in der Region Marken auf mehr als 25'000 gestiegen. Diese Zahl könne noch variieren, sagte der Präsident der Region, Luca Ceriscioli. «Es ist eine enorme Zahl von Menschen.»
Menschen sollen an die Küste gebracht werden
Hinzu kommen die Obdachlosen in der Region Umbrien, in der bei dem neuen Erdbeben die Stadt Norcia besonders getroffen wurde. Viele Menschen sollen an die Küste gebracht werden. So erwartet der Bürgermeister der Adria-Stadt Civitanova, Tommasso Corvatta, eine «epochale Migration».
Die Behörden riefen die Menschen auf, die Nacht in den Notunterkünften zu verbringen. «Es macht keinen Sinn, in Autos zu übernachten», sagte der Kommissar für den Wiederaufbau, Vasco Errani. Niemand habe die Absicht, die Menschen zu «deportieren». «Wir wollen vielmehr, dass sie die Möglichkeit haben, eine ruhige Nacht nach so einer schweren Situation zu verbringen.»
Das jüngste Beben hatte eine Stärke von 6,5, wie das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie ermittelte. Es handle sich um das stärkste Beben seit 1980. Nach Angaben des italienischen Zivilschutzes sind bisher keine Berichte über Todesopfer bekannt, es gebe aber um die 20 Verletzte.
Einwohner von Norcia werden evakuiert
Besonders betroffen ist die Stadt Norcia. Wegen anhaltender kleinerer Nachbeben sind die 5000 Einwohner des Städtchens inzwischen evakuiert worden, erkärte Luca Cari, der Sprecher der Feuerwehr. Derzeit sei der gesamte Bereich des historischen Stadtkerns abgesperrt. Die Gebäude seien instabil, bei einem neuen Erdstoss könnten sie deshalb einstürzen, sagte Cari weiter. «Das grösste Problem sind die andauernden Erdstösse, die auch die Einsatzkräfte in Gefahr bringen.»
Der Zivilschutz hat mittlerweile erste Zelte aufgebaut, um den Einsatz zu koordinieren und die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Eigentlich sollte für Notfälle eine Mehrzweckhalle bereitstehen, doch auch sie wurde durch das Erdbeben am Sonntagmorgen teilweise zerstört.
Renzi kündigt sofortige Hilfe an
Italiens Regierungschef Matteo Renzi sagte den Menschen in der Erdbebenregion nach dem neuerlichen Erdstoss sofortige Hilfe zu. «Wir werden alles wieder aufbauen: die Häuser, die Kirchen und die Geschäfte», versprach Renzi in Rom. Der Regierungschef will am Montag im Kabinett über Massnahmen beraten.
Weitere Beben zu befürchten
Die Erschütterung mit einer Stärke von etwa 6,5 ist laut Seismologen eine Folge der verheerenden Erdstösse im Sommer rund um das Bergstädtchen Amatrice.
«Das Beben gehört klar zu einer Sequenz», erklärt Professor Domenico Giardini von der ETH Zürich. «Das heisst, es handelt sich hier nicht um normale Nachbeben, sondern um Beben innerhalb einer Sequenz, wie sie für den Apennin typisch sind. Eine Sequenz kann sich über mehrere Monate hinziehen, die Beben können jeweils grösser oder kleiner werden. Wir haben keine Indizien, wonach die Sequenz zu Ende ist. Es könnte noch zu weiteren Beben kommen.»
Die bisherige Bilanz des Bebens
- «Es ist, als wäre es zu einem Bombenangriff gekommen», berichteten die Behörden über den Zustand der Ortschaft Norcia. Neun Verletzte wurden dort gemeldet. Die im 14. Jahrhundert errichtete Basilika des Heiligen Benedikt stürzte ein. Die Mönche, die die Basilika betreuen, seien wohlauf, berichteten italienische Medien. Auch die Kathedrale von Santa Maria Argentea stürzte ein. Lediglich Teile der Fassaden blieben erhalten.
- In Amatrice wurde der Turm der Kirche des Heiligen Augustin zerstört, der beim ersten Erdbeben im August trotz schwerer Schäden des Gebäudes noch erhalten geblieben war. Der Turm war zum Symbol des zerstörten Amatrice geworden. Beim schweren Erdbeben Ende August kamen von den fast 300 Todesopfern am meisten Menschen in Amatrice ums Leben.
- Das Spital der umbrischen Stadt Cascia musste evakuiert werden.
- Unzählige Gebäude, die bereits bei den Erdbeben am Mittwochabend schwer beschädigt worden waren, stürzten ein. Aleandro Petrucci, Bürgermeister der Ortschaft Arquata, die ebenfalls bereits am 24. August vom schweren Erdbeben betroffen war, sagte, dass das ganze Dorf zerstört sei. «Arquata gibt es nicht mehr», klagte Petrucci.
Einschätzung von SRF-Korrespondent Philipp Zahn
«Die Bewohner in Mittelitalien kommen bei diesem Erdbeben glimpflich davon, weil viele seit dem letzten Beben die Nächte draussen verbracht haben. Die Erdstösse waren sehr heftig, vor allem in Norcia gibt es grosse Schäden, gerade in der Altstadt. Insgesamt hat der Ort die Beben der letzten Tage aber relativ gut überstanden. Nach den grossen Erdbeben 1997 in Umbrien hat man in Norcia viel Geld in die Bausubstanz investiert, und das hat sich bewährt.» |