Die Parlamentswahl sollte für Jordaniens König ein Befreiungsschlag sein. Die Rechnung von Abdullah II. ist vermutlich aufgegangen: Stammesvertreter und regimetreue Unabhängige werden weiterhin das jordanische Parlament dominieren. Sie besetzen 90 Prozent der 150 Sitze im Unterhaus. Das geht aus ersten offiziellen Ergebnissen hervor.
Seit Januar 2011 sind immer wieder Proteste aufgeflammt. Der Arabische Frühling hatte den Thron des Königs ins Wanken gebracht. Der König reagierte auf den Unmut der Bevölkerung und löste vergangenen Oktober das Parlament auf.
«Die Wahlen wurden als Test der Monarchie angesehen», sagt Anja Wehler-Schöck gegenüber Radio SRF. Sie leitet das Büro der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in der jordanischen Hauptstadt Amman. Abdullah II. habe mit den Ergebnissen der Wahl seine Position gefestigt.
Menschen sind frustriert
Die Beteiligung lag offiziell bei 56,5 Prozent – die höchste seit 1989. Wehler-Schöck ist vom Ergebnis «sehr überrascht». Überrascht, weshalb? Weil die Jordanier frustriert sind über die Politik des Herrschers. «Der Frust im Volk wird sich durch viele ungültigen Stimme zeigen», prophezeit Wehler-Schöck.
Kein zweites Ägypten
Die oppositionellen Muslimbrüder wollten den Frust vor der Wahl für sich nutzen. Die grösste Partei des Landes, die von der Muslimbruderschaft gegründete Islamische Aktionsfront, boykottierte den Urnengang. Sie forderte das Volk auf, es ihr gleich zu tun.
Die Menschen folgten dem Aufruf nicht. Das hat laut Wehler-Schöck vor allem mit der Entwicklung in Ägypten zu tun. Die Jordanier würden skeptisch in die Nachbarschaft schauen. «Sie wollen keine ägyptischen Verhältnisse», sagt Wehler-Schöck.
Manipulationsvorwurf
Die Muslimbruderschaft hat der Regierung Manipulation vorgeworfen. Ihre Vorwürfe: Die Königstreuen waren durch das Wahlgesetz im Vorteil. Die Wahlkommission hat die Zahlen manipuliert, weit weniger Menschen als angegeben waren an den Urnen. Es gab Verstösse gegen das Wahlrecht. An manchen Orten – so die Muslimbrüder weiter – wurden gar Wählerstimmen gekauft.
Auch unabhängige Beobachter haben Unregelmässigkeiten festgestellt. Die Verstösse wären jedoch nicht entscheidend, die Wahl sei alles in allem ordnungsgemäss verlaufen, sagt Wehler-Schöck von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ausschreitungen der Muslimbrüder
Für König Abdullah II. ist die erste Wahl seit den arabischen Massenerhebungen vor zwei Jahren ein Schritt Richtung Reformen. Der König will den Volksvertretern etwas mehr Einfluss geben. Bislang hat allein er den Ministerpräsidenten bestimmt. Nun erhalten die Abgeordneten das Recht, den Premier zu wählen – allerdings in Abstimmung mit dem Monarchen.
Der Wahl-Boykott der Muslimbrüder könnte das Land noch im Nachhinein paralysieren: Die wichtigste Oppositionskraft wird im Parlament nicht vertreten sein. Damit hat die Volksvertretung schon jetzt an Legitimität verloren.
In der südlichen Stadt Maan stürmten Dutzende von Männern Schulen, Banken und Regierungsgebäude, wie Polizisten und Augenzeugen berichteten. Die Männer riefen «Das Volk will den Sturz des Regimes» und zündeten ein Schulgebäude an. In Mafrak im Norden blockierten Unterstützer rivalisierender Kandidaten mehrere Strassen mit brennenden Autoreifen.
Die Muslimbrüder sprachen zudem von Wahlfälschung und Unregelmässigkeiten. So waren etwa wenige Tage vor der Wahl vier Kandidaten verhaftet worden. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten Wähler bestochen. Ihre Namen wurden jedoch nicht von den Wahlzetteln gestrichen, so dass drei von ihnen jetzt ein Mandat erringen konnten.