Das Wichtigste in Kürze
- Das Grundrecht auf Asyl ist eines der wichtigsten europäischen Werte.
- Juncker schlägt die Verteilung von weiteren 120'000 Flüchtlingen auf die EU-Staaten vor.
- Schengen/Dublin wird in der Amtszeit von Juncker nicht abgeschafft.
- Juncker schlägt eine EU-Liste der sicheren Herkunftsländer vor.
- Zudem sollen Asylbewerber ab dem ersten Tag in der EU arbeiten dürfen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker präsentiert die Vorschläge zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im Rahmen einer Rede zur Lage der Europäischen Union. «Seit Anfang des Jahres sind mehr als 500'000 Menschen nach Europa gekommen. Es ist an der Zeit, entschlossen und mutig zu handeln», erklärt Juncker vor dem Europäischen Parlament in Strassburg.
Wir alle seien zu einem bestimmten Zeitpunkt Flüchtlinge gewesen. Hunderttausende Menschen seien in verschiedenen Jahrhunderten gezwungen worden, zu flüchten, sagt Juncker zu Beginn seiner Rede.
Dies ist die Stunde der Ehrlichkeit – Die Europäische Union ist in keinem guten Zustand. Es fehlt an Europa in der EU und es fehlt an Union in der EU.
Juncker erinnerte an die Flüchtlingsströme, die verschiedene Länder in den vergangenen Jahrhunderten erlebt haben, unter anderem nach dem Aufstand in Ungarn 1956 und dem Prager Frühling 1968: «Wir in Europa sollten niemals vergessen, dass das Grundrecht auf Asyl einer der wichtigsten europäischen und internationalen Werte ist.» Ungarn und Tschechien gehören zu jenen EU-Ländern, die einer EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen besonders skeptisch gegenüber stehen.
Der Luxemburger forderte die Staaten zum Handeln auf. «Es ist jetzt nicht an der Zeit, erschrocken dazustehen.» Die EU-Staaten hätten die Mittel und Möglichkeiten, den Migranten zu helfen. Dies sei «eine Frage der Menschlichkeit und der menschlichen Würde». Juncker verwies darauf, dass Flüchtlinge lediglich 0,11 Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachten.
Asylbewerber sollen in der EU arbeiten dürfen
Der Kommissionschef schlug zudem eine gemeinsame EU-Liste sicherer Herkunftsländer vor, zu denen die Staaten des Westbalkans und die Türkei gehören sollen. Grundlage für die Aufnahme in die Liste seien ein Kandidatenstatus für den Beitritt in die EU und die sogenannten Kopenhagener Kriterien. Diese Länder müssten zugleich wissen, dass sie die Möglichkeit zum Beitritt in die EU verspielten, wenn sie etwa wegen Menschenrechtsverletzungen von der Liste der sicheren Herkunftsländer gestrichen würden, warnte Juncker.
Der Luxemburger sprach sich zudem dafür aus, dass Asylbewerber ab dem ersten Tag in der EU arbeiten dürfen. Die nationalen Gesetzgebungen müssten entsprechend geändert werden. Zugleich solle die EU-Grenzschutzagentur Frontex zur Sicherung der EU-Aussengrenzen deutlich gestärkt werden. Darüber hinaus forderte Juncker die Möglichkeiten einer legalen Migration in die EU.
Säumige EU-Staaten sollen gebüsst werden
Juncker kündigte im weiteren eine Reihe neuer Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Staaten wegen Verstössen gegen das EU-Asylrecht an. «In Europa haben wir gemeinsame Standards für die Aufnahme von Flüchtlingen. Aber diese Standards müssen in ihrer vollen Gänze umgesetzt werden, und das ist eindeutig nicht der Fall», kritisiert Juncker vor dem EU-Parlament.
In Europa haben wir gemeinsame Standards für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Juncker schlägt die Verteilung von weiteren 120'000 Flüchtlingen über die EU-Staaten vor. «Dies muss getan werden, und dies muss verpflichtend sein», sagt Juncker.
Die 120'000 kämen zusätzlich zu den bereits im Mai vorgeschlagenen 40'000 Flüchtlingen hinzu. Zudem versicherte er, dass das Schengen/Dublin-System während seiner Amtszeit nicht abgeschafft werde.
Ich kenne die Schwäche Europas, aber ohne die EU wäre Europa noch schlechter dran.
Mittelfristig möchte die EU-Kommission zudem einen festen Mechanismus etablieren, um weitere Diskussionen über die gerechte Verteilung von Flüchtlingen zu vermeiden. Juncker forderte die EU-Mitgliedstaaten eindringlich dazu auf, am kommenden Montag diesen Vorschlag zu akzeptieren: «Ich rufe die Mitgliedstaaten auf, die Vorschläge der Kommission zur Notumsiedlung von insgesamt 160'000 Flüchtlingen beim Innenministertreffen am 14. September anzunehmen.»
Konsequenzen auch für die Schweiz
Setzt sich diese Lösung eines konkreten Verteilschlüssels bei den Mitgliedsstaaten durch, wäre auch die Schweiz davon betroffen, sagt EU-Korrespondent Sebastian Ramspeck. «Dieser neue Mechanismus wäre Teil des Dublin-Systems und würde somit auch für die Schweiz gelten.» Einziger Ausweg wäre eine Sonderlösung oder die Kündigung des geltenden Abkommens. Ansonsten müsste die Schweiz eine Quote von 4 Prozent aufnehmen, schätzt Ramspeck.