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International Kein Konsens für El Baradei

Ägypten braucht eine parteiübergreifend anerkannte Persönlichkeit an der Spitze der Übergangsregierung. Die Ernennung von Friedensnobelpreisträger El Baradei wurde dementiert. Die Religiösen im Oppositionslager sind gegen ihn.

Ägypten sucht nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi einen politischen Neuanfang – ein Chef für die Übergangsregierung wurde jedoch noch nicht gefunden. Ein Sprecher von Übergangspräsident Adli Mansur dementierte am späten Samstagabend Meldungen über die angebliche Ernennung von Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei zum Ministerpräsidenten.

Sturz von Mursi verteidigt

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Der ägyptische Botschafter in der Schweiz, Saher Hamza, verteidigt den Sturz von Mursi. Die Absetzung des Präsidenten sei kein «Militärcoup» gewesen, sagte er im Interview mit der «Schweiz am Sonntag».

«Es waren die Menschen auf der Strasse, welche die Armee gerufen haben, weil sie sich hilflos fühlten», betonte Hamza.

Widerstände gegen den Ex-Diplomaten und Führer der säkularen Nationalen Rettungsfront kamen aus den Reihen der islamistischen Nur-Partei (Partei des Lichts). Diese war früher mit der Muslimbruderschaft verbündet, aus der Mursi stammt. Zuletzt schloss sie sich aber der Oppositionsallianz gegen Mursi an.

Medien in Kairo hatten am Samstagabend die Ernennung El Baradeis zum Regierungschef bereits als Fakt vermeldet. Dabei hatten sie sich zunächst auf die Opposition, dann auch auf Kreise um Mansur berufen. Das Dementi kam kurz vor Mitternacht.

Der Sprecher betonte, es liefen Verhandlungen über die Besetzung des Postens. El Baradei führe weiter Gespräche mit Mansur. Es gebe aber auch andere Kandidaten. Vertreter der Nur-Partei erklärten allerdings gegenüber lokalen Medien, dass sie El Baradei ablehnten, weil er die ägyptische Gesellschaft «zu sehr polarisieren» würde.

Ehemaliger Hoffnungsträger von Ägypten

Im Arabischen Frühling 2011 galt Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei insbesondere in westlichen Ländern als Hoffnungsträger für Ägypten. Dann verschwand er zeitweise aus dem Rampenlicht – enttäuscht von der Entwicklung

des Landes.

Nach jahrzehntelanger diplomatischer Tätigkeit im Ausland war er ein Jahr vor dem Sturz des ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak im Februar 2011 in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sich für Ägyptens demokratischen Wandel stark gemacht.

Als Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erhielt El Baradei 2005 den Friedensnobelpreis. Die Sendung «10vor10» erstellte 2011 ein Portrait von El Baradei.

Hamas geschwächt

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Der Sturz des islamistischen Präsidenten in Ägypten trifft auch die Hamas im Gazastreifen hart. Sie verlieren einen wichtigen Verbündeten in der Region. «Der K.O.-Schlag für Hamas kam mit der zweiten Revolution und dem Ende der Herrschaft der Muslimbruderschaft in Kairo», kommentierte die palästinensische Zeitung Al-Ayyam.

Viele Ägypter stehen El Baradei allerdings skeptisch gegenüber: Der Nobelpreisträger sei zu lange im Ausland gewesen, verstehe die Menschen im Land nicht, heisst es oft.

Keine Kontrolle mehr

Im krisengeschüttelten Land am Nil gingen unterdessen die Demonstrationen weiter. Nach Augenzeugenberichten versammelten sich heute erneut Anhänger und Gegner Mursis in Kairo.

Im Norden des Sinai entgleitet den Behörden die Kontrolle: Extremisten sprengten eine Pipeline, die über den Sinai Gas nach Jordanien transportiert. Es war der erste Anschlag auf das Leitungsnetz, das Jordanien und Israel mit Gas versorgt, seit einem Jahr.

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