Ägypten sucht nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi einen politischen Neuanfang – ein Chef für die Übergangsregierung wurde jedoch noch nicht gefunden. Ein Sprecher von Übergangspräsident Adli Mansur dementierte am späten Samstagabend Meldungen über die angebliche Ernennung von Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei zum Ministerpräsidenten.
Widerstände gegen den Ex-Diplomaten und Führer der säkularen Nationalen Rettungsfront kamen aus den Reihen der islamistischen Nur-Partei (Partei des Lichts). Diese war früher mit der Muslimbruderschaft verbündet, aus der Mursi stammt. Zuletzt schloss sie sich aber der Oppositionsallianz gegen Mursi an.
Medien in Kairo hatten am Samstagabend die Ernennung El Baradeis zum Regierungschef bereits als Fakt vermeldet. Dabei hatten sie sich zunächst auf die Opposition, dann auch auf Kreise um Mansur berufen. Das Dementi kam kurz vor Mitternacht.
Der Sprecher betonte, es liefen Verhandlungen über die Besetzung des Postens. El Baradei führe weiter Gespräche mit Mansur. Es gebe aber auch andere Kandidaten. Vertreter der Nur-Partei erklärten allerdings gegenüber lokalen Medien, dass sie El Baradei ablehnten, weil er die ägyptische Gesellschaft «zu sehr polarisieren» würde.
Ehemaliger Hoffnungsträger von Ägypten
Im Arabischen Frühling 2011 galt Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei insbesondere in westlichen Ländern als Hoffnungsträger für Ägypten. Dann verschwand er zeitweise aus dem Rampenlicht – enttäuscht von der Entwicklung
des Landes.
Nach jahrzehntelanger diplomatischer Tätigkeit im Ausland war er ein Jahr vor dem Sturz des ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak im Februar 2011 in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sich für Ägyptens demokratischen Wandel stark gemacht.
Als Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erhielt El Baradei 2005 den Friedensnobelpreis. Die Sendung «10vor10» erstellte 2011 ein Portrait von El Baradei.
Viele Ägypter stehen El Baradei allerdings skeptisch gegenüber: Der Nobelpreisträger sei zu lange im Ausland gewesen, verstehe die Menschen im Land nicht, heisst es oft.
Keine Kontrolle mehr
Im krisengeschüttelten Land am Nil gingen unterdessen die Demonstrationen weiter. Nach Augenzeugenberichten versammelten sich heute erneut Anhänger und Gegner Mursis in Kairo.
Im Norden des Sinai entgleitet den Behörden die Kontrolle: Extremisten sprengten eine Pipeline, die über den Sinai Gas nach Jordanien transportiert. Es war der erste Anschlag auf das Leitungsnetz, das Jordanien und Israel mit Gas versorgt, seit einem Jahr.