Bei den Protesten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben etwa 2000 Demonstranten in der Nacht ein von Sicherheitskräften genutztes Gebäude angegriffen.
Im Innern sollen die Eindringlinge Sprengsätze gezündet haben. «Schande», riefen viele Protestierende, während einige in das Gebäude im Stadtzentrum vordrangen, wie ein Korrespondent berichtete. Die eingeschlossenen Einsatzkräfte setzten Blendgranaten ein. Zahlreiche Fensterscheiben gingen zu Bruch.
Wie die die Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko mitteilte, haben die Demonstranten inzwischen das Kongresszentrum in der Nähe des Europaplatzes in ihrer Hand. «In den Büros wird Essen und heisser Tee ausgegeben, hier können sich unsere Kampfgenossen aufwärmen», sagte eine Sprecherin der Regierungsgegner. In Kiew herrschte am Sonntagmorgen strenger Frost bei etwa minus 20 Grad.
Oppositioneller für weitere Verhandlungen
Der ukrainische Oppositionspolitiker und frühere Aussenminister Arseni Jazenjuk hat sich unterdessen für weitere Verhandlungen mit der Staatsführung ausgesprochen. «Wir lehnen den Vorschlag (von Präsident Viktor Janukowitsch) nicht ab, aber wir nehmen ihn auch nicht an», sagte Jazenjuk in der Nacht in Kiew, wie die Agentur Interfax meldete.
Die ukrainischen Regierungsgegner hatten zuvor die von der Staatsführung angebotenen Regierungsämter abgelehnt. Unter dem Jubel der Menge forderte Vitali Klitschko Neuwahlen noch in diesem Jahr. Es ist das erklärte Ziel der prowestlichen Opposition, den an Russland orientierten Präsidenten Viktor Janukowitsch abzulösen. Regulär sind Präsidentenwahlen erst für das kommende Jahr geplant.
Auch der frühere Aussenminister Arseni Jazenjuk sprach auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) zu den Demonstrierenden: Die Opposition sei bereit, die Regierung zu übernehmen. Dies aber nur, um das Land dann in die Europäische Union zu führen. Seine Bewegung habe keine Angst davor, Verantwortung zu übernehmen. «Aber wir glauben der Staatsmacht kein einziges Wort», rief Jazenjuk, Chef der Vaterlandspartei.
Unterdessen kündigte die Partei des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch an, einer Änderung umstrittener Gesetze etwa zur Einschränkung des Demonstrationsrechts zustimmen zu wollen. Die Novelle ist eine Hauptforderung der Opposition um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko.
Janukowitsch taktiert geschickt
Nach den Ausschreitungen der vergangenen Tage hatte der Präsident vorgeschlagen, dass der Regierungskritiker und frühere Aussenminister Arseni Jazenjuk neuer Regierungschef und Klitschko dessen Stellvertreter werden solle.
Nach Ansicht von SRF-Korrespondent Peter Gysling hat Janukowitsch einen geschickten Schachzug gemacht: Eine Annahme der Regierungsämter kam für die Oppositionellen kaum in Frage. Denn damit hätten sie sich bei ihren Anhängern unglaubwürdig gemacht. Betonten sie doch bisher immer, mit der Regierung nichts zu tun haben zu wollen.
Nach der Ablehnung des Angebots kann der ukrainische Präsident ihnen nun aber vorwerfen, sich vor der Regierungsverantwortung zu drücken.
Ukrainische Machtprobe – die Akteure
-
Bild 1 von 9. Viktor Janukowitsch ist seit 2010 Staatspräsident der Ukraine. Er betont stets, dass eine Anbindung an die EU gewünscht sei. Stattdessen bindet er sich vermehrt an Moskau. Mit Demonstrationen hat er keine guten Erfahrungen gemacht. 2004 war er bereits als Wahlsieger proklamiert, bis ihn die Proteste der «Orangenen Revolution» das Amt kosteten. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 2 von 9. Ministerpräsident Nikolai Asarow ist wie Staatspräsident Viktor Janukowitsch Mitglied der Partei der Regionen. Der Regierungschef wird von den Demonstranten für das Scheitern des EU-Abkommens auf dem Osteuropagipfel verantwortlich gemacht. Ein Misstrauensvotum gegen ihn im Parlament scheiterte jedoch. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 9. José Manuel Barroso steht als Vertreter der EU in dem Konflikt. Die EU hat mit der Ukraine Beitrittsverträge verhandelt, die Präsident Janukowitsch mit seiner pro-russischen Haltung torpediert hat. Barroso hat angeboten, im blutigen Machtkampf zu vermitteln. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 9. Russlands Präsident Wladimir Putin verfügt über einen erheblichen Einfluss auf die Politik der Ukraine. Denn: Die Ukraine ist abhängig von russischen Gaslieferungen. Moskau ist ausserdem Kiews wichtigster Handelspartner. Putin fürchtet durch eine Annäherung der Ukraine an die EU einen erheblichen Machtverlust. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 9. Auch die Weltmacht USA mit Präsident Barack Obama kann die Augen vor den Geschehnissen in der Ukraine nicht mehr verschliessen. Die Regierung Obamas hat Viktor Janukowitsch aufgefordert, die tödlichen Strassenschlachten zu beenden. Andernfalls drohen Sanktionen. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 9. Boxweltmeister Vitali Klitschko ist Vorsitzender der Partei Ukrainische demokratische Allianz für Reformen. Er kritisiert den pro-russischen Kurs und fordert EU-Sanktionen gegen die Regierung Janukowitschs. Der 42-Jährige ist einer zentraler Redner der Opposition und gewinnt zunehmend an Einfluss. 2015 will er als Präsidentschaftskandidat antreten. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 9. Die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist im Oktober 2011 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Anklage stützte sich auf den Missbrauch öffentlicher Gelder und Amtsmissbrauch. In einem Schreiben fordert sie die Opposition zum Widerstand gegen die Regierung Janukowitschs auf. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 8 von 9. Arseni Jazenjuk ist Ex-Aussenminister und Mitglied in Timoschenkos Vaterlandspartei. Er gilt als einer der Oppositionsführer. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 9. Oleg Tiagnibok (links) ist Chef der rechtspopulistischen Swoboda-Partei (Freiheitspartei). Er gilt als einer der Oppositionsführer, der mit Vitali Klitschko (rechts) zwar zusammenspannt, aber andere Interessen vertritt. Die Freiheitspartei vertritt nach Meinung viele Beobachter auch rechtsextreme Positionen. Bildquelle: Keystone.