Bis spätestens diese Woche soll die Einigung über einen Schuldenverzicht der Privatgläubiger stehen. Dies sagte die ukrainische Finanzministerin Natalija Jaresko vor wenigen Tagen dem NZZ-Wirtschaftsredaktor Matthias Benz. Mit Besuchen in Kiew und Odessa machte er sich ein Bild über die wirtschaftliche Lage in Kiew und Odessa.
SRF News: Steht man kurz vor einer Einigung?
Matthias Benz: Die Chancen stehen nach über viermonatigen Verhandlungen 50:50. Die Finanzministerin möchte jetzt eine Entscheidung. Man liegt aber offenbar noch ziemlich weit auseinander und es ist möglich, dass sich die Gläubiger weiter zieren werden.
Wieso zieht sich das dermassen in die Länge?
Die Gläubiger haben ein gewisses Interesse, die Sache hinauszuzögern. Zum einen ist ein Schuldenschnitt immer unangenehm, weil man auf viel Geld verzichten muss. Zum anderen setzen die Gläubiger sehr stark darauf, dass sich die Wirtschaft in der Ukraine doch schneller erholen könnte, als das Kiew oder der Internationale Währungsfonds glauben. Ein schneller Schuldenschnitt wäre unter dem optimistischeren Szenario entsprechend teurer.
Wie zeigt sich die Wirtschaftskrise im Land?
Die Ukraine ist in weiten Teilen kein Notstandsgebiet – mit Ausnahme natürlich des Konfliktgebiets im Osten des Landes. Die Menschen spüren aber die Wirtschaftskrise, die gestiegene Arbeitslosigkeit und die Inflation, die es schwieriger macht, mit dem Löhnen über die Runden zu kommen.
Die Landeswährung hat auch stark an Wert verloren, womit Auslandreisen teurer wurden. Viele Touristen aus der Ukraine füllen jetzt die Strände in Odessa ans Schwarze Meer. Auf die Krim wollen sie nicht mehr und das Ausland ist zurzeit nicht mehr erschwinglich.
Welche Industrien funktioniert noch?
Die Wirtschaft leidet unter der Krise. Das BIP hat in den letzten anderthalb Jahren um fast einen Fünftel nachgegeben. Viele Wirtschaftszweige funktionieren weiterhin, etwa der IT-Sektor, der sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt hat und für westliche Grosskonzerne Software programmiert. Auch die Landwirtschaft als wichtiger Wirtschaftszweig funktioniert weiterhin ziemlich gut. Das Land hat ein grosses wirtschaftliches Potenzial, das aber durch die derzeitige Krise niedergehalten wird. Es wird sich aber bei Reformen auch entfalten können.
Die Ukraine erhält über Hilfsprogramme Milliarden. fliesst das Geld alles in den Krieg im Osten?
Nein, das ist nicht so. Insbesondere die Hilfskredite des IWF fliessen nur direkt in die finanzielle Stabilisierung des Landes. Also in die Währungsreserven der Nationalbank, um die Landeswährung Griwna zu stützen, was eine Grundvoraussetzung für die geplante Reform ist.
Der IWF lobt die Ukraine für vereinzelte Reformschritte. Was hat Kiew bisher schon durchgesetzt?
Sehr viel ist bereits im Energiesektor gelaufen. So bei der staatlichen Erdgasgesellschaft Naftogaz, die in den letzten Jahren wegen der stark subventionierten Erdgaspreise ein riesiges Defizit hinterlassen hatte. Dieses Defizit wurde vom Staat gedeckt. Es war im letzten Jahr grösser als das gesamte restliche Staatsdefizit.
Der Energiesektor war auch eine grosse Korruptionsquelle, wo sich viele Intermediäre im Erdgasgeschäft tummelten. Da ist jetzt ganz ausgeschaltet. Auch wurde der Energiesektor etwas für den Wettbewerb geöffnet.
Aufgeräumt wurde auch im Bankensektor, indem 50 der 180 Banken in der Ukraine von der Nationalbank geschlossen wurden, da sie mangels Eigenkapital nicht mehr geschäftsfähig waren. Noch zu wenig ist sicher in der Korruptionsbekämpfung passiert. Das beschäftigt die Menschen weiterhin ganz besonders.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.