Seit Sonntagabend halten die Regierungsgegner das ukrainische Justizministerium im Zentrum der Hauptstadt Kiew besetzt.
Oppositionspolitiker Vitali Klitschko forderte die Demonstranten auf, das besetzte Gebäude zu verlassen. Denn es gelte, eine politische Lösung zu finden und Provokationen zu vermeiden, sagte er.
Auch Justizministerin Jelena Lukasch rief die radikalen Regierungsgegner zum Verlassen ihres Amtssitzes auf. Sie hoffe auf eine friedliche Regelung. Sollten sich die Demonstranten aber nicht zurückziehen, werde sie die Lage mit dem Nationalen Sicherheitsrat besprechen, sagte Lukasch. Dabei werde möglicherweise auch die Verhängung des Notstands in der Ex-Sowjetrepublik erörtert.
Proteste von Odessa bis Kharkiw
Die Proteste erfassen zunehmend auch Städte ausserhalb Kiews. Das Fernsehen zeigte Bilder aus der Grossstadt Saporischschja im Osten des Landes, wo tausende Menschen versuchten, ein Gebäude der öffentlichen Verwaltung zu stürmen. Die Menge wurde von der Polizei mit Tränengas und Blendgranaten zurückgedrängt.
In Dnepropetrowsk versuchten 3000 Demonstranten in das Hauptquartier der Regionalregierung zu gelangen. Auch in Odessa und Kharkiw spielten sich lokalen Medien zufolge ähnliche Szenen ab, allerdings mit weniger Teilnehmern.
SRF-Korrespondent: Präsidialer Trick
Die ukrainische Staatsführung hat den Oppositionsführern hohe Regierungsämter angeboten – vergebens. Die Regierungskritiker lehnten ab. SRF-Korrespondent Peter Gysling: «Die Oppositionsvertreter wären völlig isoliert, ja gar blockiert gewesen in der Regierung. Denn sie verfügen ja über keine parlamentarische Mehrheit.» Und weiter: «Das war nur ein Scheinangebot von Janukowitsch. Ein Trick.»
Die Absage an die Regierung einigt die Opposition. Janukowitsch weht ein immer eisigerer Wind entgegen. Gegenüber ahnungslosen Leuten habe er womöglich einen gewissen Vorteil aus dem Angebot gezogen, denn er sei gewissermassen auf die Opposition zugegangen, so Gysling. Doch der Rückhalt für die Regierungsgegner werde immer grösser.
Sinneswandel im Osten des Landes?
Das zeigen auch die bislang auf Kiew beschränkten Proteste, die sich mittlerweile auf weitere Regionen ausgedehnt haben. «Man geht davon aus, dass acht der 24 Regionen in der Ukraine jetzt gewissermassen besetzt sind», sagt Gysling. Es gebe Anzeichen, dass auch eher russisch-orientierte Gebiete im Osten des Landes Sympathien gegenüber der Europabewegung hegten.
Gysling geht von einer weiteren Radikalisierung der Opposition und einer Verschärfung der Lage aus. So könnte die Regierung bald über Kiew den Ausnahmezustand verhängen. «Das wäre die düstere Variante», betont Gysling.
Janukowitsch sendet Kompromiss-Signale
Janukowitsch hat Zugeständnisse in Aussicht gestellt: Das Kabinett soll kommenden Dienstag bei einer Sondersitzung umgebildet sowie eine Amnestie für Dutzende inhaftierte Oppositionelle gewährt werden. Auch wolle er die strengen Antidemonstrationsgesetze lockern, kündigte er an.
Voraussetzung dafür sei, dass die Opposition den militanten Flügel der Regierungsgegner beruhige und die Demonstranten, die öffentliche Gebäude besetzten, zum Rückzug bewege. Doch dies sei eher unwahrscheinlich, vermutet Gysling.