Nach dem Brexit-Votum werden in Grossbritannien Forderungen laut, den Volksentscheid durch das Parlament zu kippen. «Wir können diesen Wahnsinn durch eine Abstimmung im Parlament stoppen und diesen Alptraum beenden», sagte der Labour-Abgeordnete David Lammy.
Eine Volksabstimmung ist in Grossbritannien nicht verbindlich. Nur das Parlament kann über einen definitiven Brexit entscheiden. Dennoch werde das Parlament dem Volk nicht in den Rücken fallen, glaubt Klaus Armingeon, Professor für Europapolitik an der Universität Bern. «Vier Prozentpunkte Unterschied sind zu viel, um das Votum zu kippen.»
Rechtlich sei es natürlich möglich, den «Bremain» doch noch zu bewerkstelligen, sagt Klaus Armingeon zu SRF News. Doch selbst Premier David Cameron habe die Niederlage eingestanden und so werde auch das Parlament gemäss dem Volk entscheiden.
Labour-Parlamentarier ruft zum Boykott auf
Wann dies der Fall sein wird, ist noch unklar. Klar ist, dass das britische Parlament in der kommenden Woche nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wird. Debatten über den Brexit sind also gewiss. Cameron könnte den EU-Rat bereits ohne Zustimmung des Parlaments über den geplanten Austritt informieren, sagt Armingeon. Er wolle dies jedoch nicht tun. Vielmehr wolle er seinem Nachfolger Zeit geben, die Verhandlungen vorzubereiten und ihm so mehr Verhandlungsspielraum zu verschaffen.
EU drückt aufs Tempo
Die EU will die Briten möglichst rasch zum Austritt bewegen. Der Präsident des Europaparlaments, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, sagte der «Bild am Sonntag»: «Der Gipfel am kommenden Dienstag ist hierfür der geeignete Zeitpunkt.»
Neuer Premier soll her
Schulz betonte in dem Interview weiter: «Ein Zögern, nur um der Parteitaktik der britischen Konservativen entgegenzukommen, schadet allen. Eine lange Hängepartie führt zu noch mehr Verunsicherung und gefährdet dadurch Jobs. Deshalb erwarten wir, dass die britische Regierung jetzt liefert.»
Auch EU-Gründerstaaten fordern raschen Austritt
Auch Deutschland und die anderen fünf EU-Gründerstaaten verlangten bei einem Aussenministertreffen am Samstag in Berlin rasche Austrittsverhandlungen. 1957 hatten Deutschland Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet, den Vorläufer der EU.
Frankreichs Aussenminister Jean-Marc Ayrault forderte bereits am Samstag in Berlin – ohne jegliche diplomatische Zurückhaltung – einen neuen britischen Regierungschef «innerhalb weniger Tage».
EU-Gipfeltreffen ohne Grossbritannien
In dem historischen Brexit-Referendum hatten am Donnerstag knapp 52 Prozent der Briten dafür gestimmt, dass Grossbritannien als erstes Land überhaupt die EU verlässt.
Inzwischen fordern allerdings immer mehr Briten eine neue Abstimmung. Bis zum Sonntagmorgen kletterte die Zahl der Unterstützer einer entsprechenden Online-Petition auf weit mehr als 2,8 Millionen. Minütlich kamen am Wochenende Tausende neue digitale Unterschriften hinzu. Schon 100'000 Unterstützer reichten, damit das Parlament eine Debatte zumindest in Betracht ziehen müsse, hiess es.
Schon am Sonntag trafen sich Diplomaten aus den 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten ohne britische Vertreter in Brüssel, um den EU-Gipfel am Dienstag und Mittwoch vorzubereiten. Am Dienstag soll Cameron seinen Kollegen aus den 27 anderen Mitgliedstaaten in Brüssel erklären, wie er sich das Scheidungsverfahren mit der EU vorstellt.