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International Korruption in L'Aquila: Ertappte Profiteure sprachen Klartext

Die Korruptionsfälle beim Wiederaufbau im Erdbebengebiet von L'Aquila erstaunen in Italien nicht gross. Aber der schamlose Ton der Profiteure in den abgehörten Telefongesprächen schockiert schon ein bisschen, wie SRF-Mitarbeiter Rolf Pellegrini berichtet.

Luftbild von L'Aquila im April 2009.
Legende: Teile von L'Aquila nach dem Beben im April 2009. Über 300 Menschen starben damals unter Trümmern. Keystone

Fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben in der Abruzzen-Hauptstadt L’Aquila mit über 300 Toten und Zehntausenden Obdachlosen kommt aus, dass sich Personen am Wiederaufbau unrechtmässig bereichert haben. Gegen acht Personen wird wegen Korruption ermittelt, vier von ihnen stehen unter Hausarrest – der Vorwurf: Beteiligung an einem Korruptionsnetz.

«Das schwere Erdbeben im April 2009 und der gross angekündigte Wiederaufbau haben L'Aquila zum milliardenschweren Happen für Bauunternehmer, Geologen, Ingenieure und eben auch für Beamte und Politiker gemacht», stellt SRF-Mitarbeiter Rolf Pellegrini fest.

Die acht Personen, gegen die jetzt die neueste Untersuchung läuft, sollen sich nicht nur mit Bestechung, sondern auch per Urkundenfälschung öffentliche Gelder in der Höhe von 1,2 Millionen Euro angeeignet haben. Die Strafuntersuchung bezieht sich dabei nur auf die Periode zwischen September 2009 und Juli 2011. Insofern könnte die ganze Affäre nur die Spitze des Eisbergs sein.

«Unverschämtes Glück»

Auf die Schliche kam man den Betrügern wie schon so oft in Italien durch polizeilich abgehörte Telefongespräche: Da brüstete sich etwa ein Unternehmer im Gespräch mit einem Gemeinderat zynisch und beglückt lachend über das «unverschämte Glück», das dieses Erdbeben doch darstelle. Er kannte eben sein Geschäft und wusste, dass da viel Geld zu machen war. Und in einem anderen Gespräch mit einem Architekten sagte derselbe Gemeinderat, wer sich eine solche im Leben einmalige Chance entgehen lasse, sei ein Dummkopf.

Die Menschen reagieren nach den Worten von Pellegrini wenig überrascht. Denn in L'Aquila wie anderswo in Italien halte man Korruption im Bauwesen für fast unvermeidlich: «Was allenfalls schockiert, ist der Ton des Triumphes, den einige Beteiligte anschlagen, der schamlose Bereicherungswille.»

Bürgermeister im Clinch

Der Bürgermeister von L'Aquila, Massimo Cialente, hat gestern sein Amt abgegeben, obwohl er selbst nicht unter Verdacht steht. Er begründete den Schritt mit dem vergifteten Klima in der Stadt. Denn seine Kritiker sagen, er habe die Vorgänge in seinem Umfeld nicht ignorieren können: Da sei zum Beispiel ein Pflasterungsauftrag für eine Strasse von einem seiner Mitarbeiter ohne Ausschreibung an einen Bekannten des Bürgermeisters erteilt worden. Und indirekt ist seine Schwägerin die Frau eines der Profiteure des Wiederaufbaus.

Cialente hatte sich in den letzten Jahren immer wieder unermüdlich – so schien es zumindest – für den Wiederaufbau eingesetzt. Er übte viel Kritik am Schlendrian, aber auch am angeblich mangelnden Interesse der Regierung und wurde seinerseits Ziel von Anfechtungen. Wiederholt kritisierte der zum linken Spektrum gehörende Politiker etwa die «Efforts» der Regierung Berlusconi als blosse Show.

Korruption nur einer der Gründe der Misere

Am schleppenden Wiederaufbau von L'Aquila ist nach Einschätzung von Pellegrini allerdings nicht nur die Korruption schuld. Denn die italienischen Verfahren sind unglaublich bürokratisch. Die Zertifizierung der Unbescholtenheit und der Nichtteilnahme an mafiösen Organisationen sind langwierig und vielleicht fast unmöglich.

Und die Justiz hatte die Wiederaufbauarbeiten in l'Aquila auch lange Zeit blockiert, indem sie die halbe Stadt abgesperrt hatte. Sie sammelte in den Trümmern die Beweise für vergangene Schandtaten der Bauunternehmer wie schlechten Beton und vernachlässigte Sicherheitsnormen. Zudem konnte das Geld für den Wiederaufbau vielerorts nicht eingesetzt werden, weil die Regierung wegen der Sparauflagen aus Brüssel anordnete, wegen der Bilanzen zuzuwarten.

«Wer nicht schlau ist, ist ein Trottel»

Es sei wirklich nicht nur die Politik, die diesen Ruf der Bestechlichkeit habe, stellt Pellegrini fest: Vor 20 Jahren gab es Mani pulite, die Aktion fleissiger Staatsanwälte gegen korrupte Politiker, Unternehmer und Beamte in Mailand. Und hätte man anderswo genauer hingeschaut, hätte man dasselbe Phänomen an sehr vielen Orten in Italien feststellen können.

Seit 20 Jahren habe sich in Italien aber nichts verändert. «Wer nicht schlau ist, ist ein Trottel», sagen die Italiener. Und dieser Satz ist nicht nur eine Überlebensstrategie in einem schwierigen Umfeld, sondern sie führt auch dazu, dass man den anderen übers Ohr zu hauen versucht. «Aus dieser Grundüberzeugung nährt sich die Korruption in Italien, nicht nur aus der Existenz der organisierten Kriminalität und der Mafien», so Pellegrini.

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