Gerade eben hat Lobsang Sangay, der Chef der Exilregierung, die Schweiz besucht. Sangay fühlt sich bestätigt: Die Proteste und die Gewalt in Hongkong, aber auch die Unterdrückung der Uiguren seien Beweise dafür, dass die Repression in Tibet und anderswo in China nicht funktioniere. «Mao Zedong sagte, wo es Repression gibt, gibt es Widerstand.»
China unterdrücke die Hongkonger und es gebe Widerstand, China unterdrücke Tibet seit 60 Jahren und es gebe Widerstand. Die Repression funktioniere nicht. «Die chinesische Führung muss das erkennen und eine Lösung finden.»
Alle, die eine Region von China abspalten wollen, werden mit zerschmettertem Körper sterben, ihre Knochen wird man zu Pulver zermahlen.
Wenn Sangay von Lösung spricht, dann meint er Autonomie – von der Idee eines unabhängigen Staates haben sich die Exiltibeter längst verabschiedet. «Gebt uns echte Autonomie, die Souveränität Chinas bleibt damit erhalten.»
Seit Jahrzehnten verfolgen die Exiltibeter diesen sogenannten «Mittleren Weg». Doch die Autonomie scheint in weiter Ferne: Seit bald zehn Jahren verweigert China den Dialog.
Kürzlich wählte Chinas Staatschef martialische Worte: «Alle, die eine Region von China abspalten wollen, werden mit zerschmettertem Körper sterben, ihre Knochen wird man zu Pulver zermahlen», sagte Xi Jinping beim Staatsbesuch in Nepal, das an Tibet grenzt.
Kompromissbereitschaft tönt anders. Und doch ist Sangay sich sicher: Irgendwann suche China den Dialog. Chinas Regierung wolle eine führende Position in der Welt und respektiert werden. «Diesen Respekt bekommt sie aber nur, wenn China die Tibeter respektiert. Erkaufen kann sich China den Respekt nicht.»
Sangay bereist ständig die Welt und sucht im Ausland Unterstützung- auch in der Schweiz, wo er im Bundeshaus Parlamentarier getroffen hat. Seine Landsleute verdankten der Schweiz viel, sagt er.
Doch er kritisiert sie auch. Seit sie mit China ein Freihandelsabkommen habe, setze sie sich weniger für Tibet ein. Immer wenn ein Land ein Freihandelsabkommen unterzeichne, ignoriere es die Fragen von Demokratie und Menschenrechten in China. «Europäische Länder, auch die Schweiz erklären, dass man für Menschenrechte und Demokratie einstehe, sie setzen sich aber nicht für die Tibeter ein. Das ist ein Widerspruch, beides geht nicht.»
Mit diesen Botschaften reist Sangay um die Welt – seit 2011 steht er einer Exilregierung vor, die von keinem Land der Welt anerkannt wird und welche in Nordindien in Dharamsala ansässig ist. Gewählt wurde er von einigen Zehntausend Exil-Tibetern.
Das berühmteste Symbol der Tibeter, auch international, bleibt der Dalai Lama. Er ist jetzt 84 Jahre alt. China spiele auf Zeit und hoffe, dass mit dem Dalai Lama auch die Idee der tibetischen Autonomie sterbe.
«Irgendwann kommen wir ans Ziel»
Gleichzeitig nehme die Repression zu, mit der Zuwanderung von Chinesen versuche Peking die Tibeter zur Minderheit zu machen. Das sei eine Fehlkalkulation. Die Zeit spiele für die Tibeter, nicht für China, so Sangay: «Die Dinge verändern sich unweigerlich, das ist eine buddhistische Überzeugung. Irgendwann kommen wir ans Ziel.»
Der 51 -jährige Sangay ist sich sicher: Irgendwann wird er seine Heimat betreten dürfen. Er war noch nie in Tibet, wie so viele Exil-Tibeter der jüngeren Generation. Sangay ist Optimist – muss er wohl sein, in seiner Funktion.