In Berlin hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren österreichischen Amtskollegen Werner Faymann zu Gesprächen über den Umgang mit der Flüchtlingskrise empfangen. An einer gemeinsamen Medienkonferenz pochten die Regierungschefs einmal mehr auf eine gemeinsame europäische Lösung.
Dafür hätten sie bei EU-Ratspräsident Donald Tusk telefonisch ein Treffen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs für kommende Woche beantragt, sagte Merkel. Ob der geforderte Krisengipfel tatsächlich einberufen wird, wird laut Tusk am Donnerstag entschieden.
Unterstützung für Herkunftsländer und Erstaufnahmezentren
Beim Treffen soll es nach dem Willen Deutschlands und Österreichs zunächst nicht um die Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten gehen. Vielmehr soll eine bessere Unterstützung der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern diskutiert werden. Ausserdem müsse der Aufbau von Erstaufnahmezentren an den europäischen Aussengrenzen Thema des beantragten Gipfels sein, forderte Merkel.
«Wir können nicht warten, bis Menschen (...) sich durchgekämpft haben, und sie dann abhalten. Das würde eine humanitäre Katastrophe auslösen», sagte Werner Faymann. Allerdings könnten Deutschland, Österreich und Schweden die Frage der Humanität und das Recht auf Asyl nicht alleine stemmen.
Die Flüchtlingskrise habe das Potenzial, die Europäische Union als Projekt zu gefährden, meinte der Kanzler. Wie schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise müsse Europa den Menschen nun beweisen, dass die Herausforderung zu bewältigen sei.
Uneinigkeit über Druckmittel
Zumindest nach Aussen uneins sind sich Merkel und Faymann bezüglich des Umgangs mit jenen – insbesondere osteuropäischen – Ländern, die sich weiterhin gegen verbindliche Verteilquoten für Flüchtlinge stellen. Zuletzt hatten diese damit am Montag einen entsprechenden Beschluss der EU-Innenminister verhindert.
Während der österreichische Kanzler seine Warnung verteidigte, widerspenstigen Staaten nötigenfalls die EU-Mittel zu kürzen, sprach sich Merkel gegen derartige Druckmittel aus. «Drohungen sind nicht der richtige Weg», sagte die Kanzlerin und stellte sich damit auch gegen ihren eigenen Innenminister und Parteifreund Thomas de Maizière.
Hinter den Kulissen werde jedoch auch Deutschland Druck ausüben, meint SRF-Auslandredaktor Joe Schelbert. Ein gewisser Unmut über die Haltung der osteuropäischen Staaten sei beim Auftritt Merkels in Berlin durchaus spürbar gewesen: «Ich denke schon, dass die Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen auch mit Druck kommen wird. Und zwar, weil man sehr verärgert ist.»
«Dann ist das nicht mehr mein Land»
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hatte in den letzten Tagen seine Haltung bekräftigt, Deutschland habe die aktuelle Situation mit der Aufnahme der Flüchtlinge in den letzten Wochen mitzuverantworten. Auch etliche CSU-Politiker und Kommentatoren kritisieren, erst das Willkommenssignal der Kanzlerin habe eine Völkerwanderung nach Deutschland ausgelöst.
Die Kritik mochte die sonst stets diplomatische Angela Merkel heute nicht mehr so stehen lassen. «Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch
entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land», platzte es aus der Kanzlerin heraus. Es sei auch im Nachhinein richtig gewesen, Flüchtlinge unbürokratisch aufzunehmen.
Gleichzeitig sei es notwendig, die Dinge nun wieder so zu regeln, dass die Sicherheitsinteressen gewahrt werden könnten, ergänzte Merkel. In diesem Zusammenhang seien die eingeführten Grenzkontrollen zu sehen. Diese bedeuteten nicht die Schliessung der Grenzen und damit ein Abschieben des Problemes nach Österreich. Vielmehr gehe es darum, einen Überblick über die Einreisenden zu erlangen.