SRF: Katar ist also die Hausbank muslimischer Terroristen: Wieviel Geld fliesst denn aus Katar – von der Regierung und Privaten – an islamische Extremisten?
Elizabeth Dickinson: Es ist schwierig, genaue Zahlen zu schätzen. Aber seit dem Beginn des Arabischen Frühlings (im Dezember 2010) waren es sicher dutzende bis hunderte Millionen Dollar.
Floss auch Geld an die Terrorgruppe Islamischer Staat IS?
Nein. Aber gewisse Personen, die Katar unterstützt hat, kämpfen inzwischen für den IS. Das sind Personen, die früher im Dienste anderer Rebellengruppen in Syrien standen, jetzt aber zum IS gewechselt haben.
Wie funktioniert denn diese Unterstützung extremistischer Gruppen durch Katar?
Um Katars Aussenpolitik zu verstehen, muss man sehen, dass das Land extrem klein ist, aber grosse Ambitionen als Regionalmacht hat. Nach dem Arabischen Frühling reichten die bestehenden Netzwerke Katars nicht mehr aus, um diese Ambitionen zu befriedigen. Und so suchte sich die Regieung Mittelsmänner, von denen sie wusste, dass sie Islamisten in der Region unterstützen. Über diese Mittelsmänner halfen die Katari, Rebellentruppen in Syrien aufzustellen oder Milizen in Libyen zu finanzieren. Wichtig dabei ist: Katar arbeitet nicht direkt mit Islamisten, sondern durch sein Netzwerk.
Wer sind denn diese Mittelsmänner?
Viele von ihnen sind Ausländer, die seit Jahrzehnten in Doha leben. Katar hat lange Dissidenten und Kleriker aufgenommen, die in anderen Ländern des Nahen Ostens verfolgt wurden. Über diese Leute konnte Katar seine neuen Netzwerke aufbauen.
Und wie lief das im Fall von Syrien?
Zu Beginn der syrischen Revolution war Katar überzeugt, dass die Syrer, wie sie es ausdrückten, «eine Gelegenheit haben sollen, sich gegen die Übergriffe des Assad-Regimes zu verteidigen». Also wandte sich Katar an sein existierendes Netzwerk und half so, Rebellengruppen in Syrien zu finanzieren und zu bewaffnen. Doha sagte: ‹Wir wollen die syrische Opposition unterstützen und warten auf Vorschläge von allen, die Geld und Kämpfer dafür zusammentrommeln können›.
Da floss also auch Geld von der katarischen Regierung nach Syrien?
Ja – und Katar steht im Fall von Syrien und Libyen auch dazu. Lange war aber nicht klar, welche Rebellen Katar unterstützt. Diese Mittelsmänner sind oft wenig transparent und oft war wohl auch viel Korruption im Spiel. Stellen Sie sich vor: Sie gründen eine Rebellengruppe in Syrien und bekommen eine Million Dollar. Dann haben sie die Möglichkeit ein paar hunderttausend abzuzwacken und nur den Rest an die Kämpfer weiter zu geben. Für die Regierung von Katar wiederum haben die Mittelsmänner den Vorteil, dass sie – sollte etwas schief gehen – jede Beteiligung abstreiten kann.
Wieso reduziert Katar in letzter Zeit offenbar seine Unterstützung?
Ich glaube – nach vielen Gesprächen mit Privaten aber auch mit Regierungsvertretern in Doha – dass die Katari in Syrien tatsächlich stoppen wollten, was sie als Massaker durch das Assad-Regime sahen. Weil sie aber durch dieses Netz von Mittelsmännern arbeiteten, endeten ihre Aktionen immer wieder im Chaos. Ein Grund, dass sie in letzter Zeit ihre Unterstützung zurückfahren, ist wohl der Druck von Nachbarstaaten, die dem Trend hin zum politischen Islam in der Region skeptischer gegenüber stehen.
Sie schreiben in Ihrem Artikel, katarische Netzwerke destabilisierten jeden problematischen Ort in der Region. Sie unterstützen offenbar die Hamas, die Rebellengruppen in Syrien, die Muslimbrüder, die al-Nusra-Front und al-Kaida. Ist Katar ein aussenpolitischer Amateur?
Vieles davon hängt an der Umsetzung. Ich glaube, viele dieser Gruppen wollte Katar gar nicht unterstützen, sondern das katarische Geld floss durch diese komplizierten Netzwerke eben auch zu diesen extremen Gruppen.
Katar unterstützt solche Gruppen nicht nur finanziell. Das Land dient auch vielen als sicherer Hafen. Ist das nicht doppelt gefährlich?
Ja schon, aber als der Arabische Frühling begann, gab es in der Region zwei Perspektiven zum politischen Islam. Eine – und das war die von Katar – glaubte, das sei die Zukunft. Man glaubte, Gruppen wie die Muslimbrüder würden den Spagat zwischen Demokratie und Islam schaffen.
Die andere Perspektive – und das war die von Katars Nachbarn – ist, der politische Islam sei nicht nur unvereinbar mit wirkungsvollem Regieren, sondern werde auch expansionistische Züge annehmen. Es gab zum Beispiel die Angst, dass die Muslimbrüder in Ägypten ihre Ideologie auch auf andere Länder ausdehnen wollen. Diese verschiedenen Sichtweisen haben zu einem tiefen Graben in der Region geführt, was die Antwort auf den politischen Islam angeht.
Sie haben eingangs gesagt, indirekt sei auch Geld von Katar an den IS geflossen. Auf welchen Wegen?
Ich glaube es ist zunächst wichtig zu sagen, dass ich auf keine Beweise gestossen bin, dass irgendeiner der Golfstaaten den IS unterstützt. Der IS braucht das auch gar nicht: Die Dschihadisten verdienen genug mit Öl und organisierter Kriminalität. Was es gab, sind Einzelpersonen, die früher von Katar in Syrien unterstützt wurden und jetzt zum IS übergelaufen sind.
Das Gespräch führte Peter Voegeli.