In Ägypten haben die Wahllokale für den zweiten und letzten Tag des Verfassungsreferendums geöffnet. Die Verantwortlichen hoffen auf einen ruhigeren Wahltag als gestern: Es gab elf Tote und Verletzte.
Abkehr von der Religion
Ausgearbeitet wurde die Verfassung diesmal nicht von den Muslimbrüdern, sondern von Vertretern der Regierung und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Der Text stärkt die Justiz und die Polizei deutlich. Kritiker werfen deshalb der Armee vor, sie wollten ihre Macht absichern und ihren Einfluss auf die Politik vergrössern.
Aber nicht nur das Militär soll profitieren: Der Text garantiert auch die Bürger- und Freiheitsrechte und drängt den Einfluss der Religion zurück. In der vorangegangenen Verfassung der Muslimbrüder wurde die Religion stärker gewichtet. Experten verweisen auch darauf, dass der Text «die Gleichheit von Frau und Mann in allen zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten» schützt.
«Neue Verfassung bietet Ägyptern wenig»
Doch ist das wirklich der Fall? Menschenrechtsaktivist und ehemaliger ägyptischer Parlamentarier Amr Hamzawy verneint dies: «Die neue Verfassung bietet den Ägyptern wenig im Hinblick auf den Schutz von zivilen und politischen Freiheiten.
Weiterhin werden Bürger vor Militärtribunale gestellt werden.» Die Verfassung spiegle die jetzige politische Realität wieder. Die Rechte des Militärs stünden gemäss Verfassung vor jedem anderen Akteur in der Politik.
Hamzawy macht Anzeichen einer zunehmenden Abkehr der Demokratie aus. «Es sieht im Moment so aus, dass der Kampf der Ägypter gegen autokratische Herrschaftssysteme im Moment ins Stocken geraten ist. Wir haben aber weiterhin die Hoffnung, dass das nicht so bleiben muss.»
Weiterhin werde das Schicksal Ägyptens von zwei Giganten dominiert – vom Militär und von der Muslimbruderschaft, so der Menschenrechtsaktivist. «Beide Akteure haben nie vorgehabt, Kompromisse einzugehen. Solange die liberalen Kräfte so schnell bereit sind, sich auf das Militär oder die Muslimbruderschaft einzulassen, so lange werden wir keine demokratischen Strukturen haben.»