Es ist schwer, sich in der schön verschneiten ukrainischen Hauptstadt Kiew den Krieg und die ganze Zerstörung in der Ostukraine vorzustellen. Eigentlich möchte man darüber auch gar nicht reden, wie etwa Kristina, die junge Köchin. Seit die Regierung hunderttausende Reservisten für die Armee aufgeboten hat, ist Krieg für sie ein Dauerthema:
«Die jungen Leute werden massenweise einberufen und in den Krieg geschickt, egal, ob sie dies wollen oder nicht. Mein Freund gehört auch dazu. Die werden bloss vier Wochen lang ausgebildet und trainiert und sind dann alle völlig unvorbereitet. Es ist schrecklich. Niemand will doch als Kanonenfutter herhalten!»
Wie ihr Freund versuchen viele, dem Marschbefehl zu entkommen, mit Hilfe eines Arztzeugnisses oder mit Schmiergeldern. Aber das schafften bei Weitem nicht alle.
Auch Dima fürchtet sich vor einer möglichen Ausweitung des Krieges. Er sei in der Ostukraine, in Donezk und Lugansk gewesen, habe schreckliche Dinge gesehen und befürchtet jetzt, dass die Separatisten weiter nach Kiew vorrücken werden. Die Verhandlungen in Minsk würden die pro-russischen Kämpfer nicht stoppen können.
Er ist nicht der einzige, der so denkt. Lena, eine Lektorin aus Odessa, die zur Zeit in Kiew Vorlesungen hält, ist auch eher skeptisch, was die Zukunft der Ukraine angeht.
«Die meisten schätzen es realistisch ein. Wir sehen, dass der Brand im Osten trotz aller Verhandlungen und Bemühungen noch nicht gelöscht werden konnte. Ich bin sicher, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine noch Jahre dauern wird», sagt Lena. Dieser Konflikt gefährdet Freundschaften zwischen Ost- und Westukrainerinnen und –ukrainern und Russen, Freundschaften die jahrelang gehalten haben. Nadeschda, eine Rentnerin aus Kiew, beklagt, viele Kontakte zu Russinnen und Russen im benachbarten Russland seien abgebrochen:
«Es ist wie eine offene Wunde. Wir können uns schlicht nicht mehr verständigen.»
Umso mehr zählt ihr Ehemann Boris auf die Europäer. Andernfalls werde Russland auch vor Europa nicht Halt machen, warnt er:
«Die Ukraine ist jetzt zu einem Schlachtfeld geworden auf dem das Schicksal Europas entschieden wird. Im Mittelalter war es die Ukraine, die uns vor dem Einfall der Goldenen Horde, der Mongolen und Tataren bewahrt hat. Jetzt könnte sich die Geschichte wiederholen.»
Viele erhoffen sich von Europa nebst politischer und finanzieller Unterstützung militärische Hilfe, auch Waffen. Doch beim genaueren Nachdenken sieht man die Konsequenzen und fürchet sich davor, wie zum Beispiel Gennadi, ein Techniker aus Kiew:
«Wenn die USA uns hochmoderne Kriegstechnologie liefern, dann gibt es Krieg zwischen den beiden Grossmächten Amerika und Russland, und zwar auf ukrainischem Boden. Aber wem nützt denn das? Das ist für alle Seiten verheerend!»