SRF News: Athen wird einfach übergangen – wie konnte sich die griechische Regierung derart ins Abseits manövrieren?
Corinna Jessen: Eine Rolle spielt die wirtschaftliche Situation Griechenlands. Athen ist seit Jahren in einer Bittsteller-Situation gegenüber seinen europäischen Partnern. Es ist ganz einfach ein schwaches Land und kann in Brüssel oder anderen Hauptstädten nicht mit Vehemenz auftreten. Darüber hinaus hat es durchaus Verzögerungsmassnahmen der griechischen Politik bei der Flüchtlingspolitik gegeben, wie etwa bei der Errichtung der Hotspots auf den griechischen Inseln. Athen hat die Menschen monatelang einfach nur durchgewunken. Das alles hat zu einem Vertrauensverlust geführt. Trotzdem fragen sich die Griechen, ob dies einem Partner wie Österreich das Recht gibt, europäische Beschlüsse de facto ausser Kraft zu setzen. Sie fühlen sich alleingelassen, denn bisher hat ihnen noch niemand erklären können wie der eingeforderte Schutz einer Seegrenze ohne Kooperation der Türkei und ohne Gewaltanwendung funktionieren soll.
Nun hat Mazedonien heute angekündigt, die Grenze für irakische und syrische Flüchtlinge wieder zu öffnen. Ist das im Sinne Griechenlands?
Das ist es, wenn möglichst viele Menschen weiterreisen können – und das ist auch im Sinne der Flüchtlinge, die nicht in Griechenland bleiben wollen.
Warum weisen die Griechen die afghanischen Migranten nicht ab, die keine Chance auf Asyl haben? Das wäre doch eigentlich ihre Aufgabe als Schengenland an der EU-Aussengrenze?
Es ist eine recht neue Situation, dass für die Afghanen der Weg nach Europa nun versperrt ist. Zudem stellt sich die Frage, wo die Afghanen abgewiesen werden könnten. Die Nationalität lässt sich ja nicht auf See in einem überfüllten Schlauchboot klären. Das könnte man allenfalls in einem der Hotspots auf den griechischen Inseln machen, von wo aus die nicht mehr Asylberechtigten zurückgeschickt werden sollen. Doch die Bereitschaft der Türkei zur Rücknahme dieser Menschen hält sich trotz Abkommen mit der EU in sehr engen Grenzen. Und für eine direkte Abschiebung nach Afghanistan fehlen die bilateralen Kanäle.
Welche Art von Unterstützung bräuchten die Griechen jetzt am dringendsten, etwa von Brüssel?
Athen drängt jetzt vor allem auf die Umsetzung des beschlossenen Nato-Einsatzes, der Schlepper abschrecken und Flüchtlinge noch in türkischen Gewässern zur Umkehr zwingen soll. Doch die Türkei scheint auch hier einen Rückzieher bei bisher Zugesagtem zu machen. Gründe hierfür sind seit Jahrzehnten schwelende Grenzstreitigkeiten in der Ägäis. Zum anderen bräuchte Athen vor allem Hilfe in Form von Grenzbeamten, Material und von verlässlichen Zusagen, dass die Flüchtlinge in Europa umverteilt werden. Nur so müsste Griechenland nicht selber damit fertig werden, zu einem «Lager der Seelen» zu werden, wie das die Regierung immer wieder beklagt.
Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.