In einer emotionalen Medienkonferenz präsentierte Oberstaatsanwältin Marilyn Mosby die Ergebnisse gerichtsmedizinischer Untersuchungen sowie ihre Schlüsse daraus. Sie richtete massive Vorwürfe an die involvierten Beamten. Gegen die sechs Polizisten ist ein Haftbefehl erlassen worden. Neben der Mordanklage wirft die Staatsanwaltschaft den Beamten auch Tätlichkeit, Fehlverhalten, Freiheitsberaubung sowie die Vorenthaltung medizinischer Betreuung vor.
Insbesondere gegen einen der Polizisten brachte Mosby schwerwiegende Anschuldigungen vor, darunter Mord mit bedingtem Vorsatz. Nach US-Recht ist ein solcher Mord zweiten Grades eine Tötung, die anders als Mord ersten Grades nicht im Voraus geplant war, aber einen Tod billigend in Kauf nimmt oder eine extrem fahrlässige Missachtung menschlichen Lebens widerspiegelt. Drei weiteren Beamten wird Totschlag vorgeworfen. Weiter sei die Verhaftung von Freddy Gray grundlos erfolgt.
Beispiellose Schärfe der Anklage
Beat Soltermann, USA-Korrespondent von SRF, hält das massive Vorgehen der Staatsgewalt gegen die Gesetzeshüter in einer ersten Reaktion für beispiellos: «In Ferguson und vergleichbaren Fällen wurden erst gar keine Anklagen gegen Polizisten erhoben.»
Die Schärfe, mit der nun in Baltimore gegen die verdächtigten Beamten vorgegangen werde, habe zwar mit der Besonderheit des Falls zu tun – aber auch mit der Anklägerin: «Mosby ist Afro-Amerikanerin, sie stammt aus dem betroffenen Gebiet und ist erst seit drei Monaten im Amt», so Soltermann.
In den letzten Tagen habe es viele kritische Stimmen gegeben, die Mosby als zu unerfahren für einen derart grossen Fall hielten. Eben diese Kritiker habe die Oberstaatsanwältin nun überrascht: «Mosby hat nicht erst auf den Polizeibericht gewartet, der gestern übergeben wurde. Sie nahm zusätzlich eigene Abklärungen vor, die nun zu dieser massiven Anklage gegen die sechs Polizisten führten.»
Keine Generalanklage gegen die Polizei
Allerdings habe Mosby explizit davon gesprochen, so Soltermann, dass die Anschuldigungen keiner Generalanklage gegen Polizei gleichkämen. Dies, obwohl Baltimores Beamte durchaus für ihre Brutalität bekannt seien. Dies wertet Soltermann als Versuch, die Wogen zu glätten und keine neuen Gräben entstehen zu lassen.
Der 25-jährige Freddie Gray war im April eine Woche nach seiner Festnahme in Polizeigewahrsam wegen einer Wirbelsäulenverletzung gestorben. Diese habe er sich auf dem Weg zur Wache zugezogen, als ihm in dem fahrenden Polizeiwagen Handschellen angelegt wurden, sagte Mosby. Er habe zwei Mal um medizinische Hilfe gebeten, die er aber nicht erhalten habe.