Im Kampf um die nordsyrische Stadt Kobane rücken die Dschihadisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) immer weiter vor. Nach Angaben von Aktivisten haben sich die Gefechte auch auf Viertel im Süden und Westen der Stadt ausgeweitet. Die Dschihadisten hatten zuvor drei Stadtviertel im Osten von Kobane erobert.
Die US-geführte Koalition habe erneut Luftangriffe auf IS-Stellungen im Osten der Stadt ausgeführt, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Offenbar reichen aber auch diese Angriffe nicht aus, um die IS-Kämpfer aufzuhalten.
Bereits 400 tote Einwohner
In den vergangenen drei Wochen sind in Kobane über 400 Einwohner umgekommen. Die IS-Dschihadisten haben bereits mehr als 300 Dörfer im Umland von Kobane eingenommen, rund 160'000 Menschen flohen in die Türkei. Etwa 5000 Kurden stellen sich nach Angaben aus Kobane derzeit den IS-Extremisten entgegen.
Sollte es dem IS gelingen, Kobane einzunehmen, würden er ein langes Stück der türkisch-syrischen Grenze kontrollieren. Zudem würde ihm ein grosses zusammenhängendes irakisch-syrisches Gebiet unterliegen.
Warum greift die Türkei nicht ein?
Kurt Pelda, der vor einer Woche noch nach Kobane vordringen konnte, sagte in der Sendung «10vor10», dass die Türkei bzw. Präsident Recep Erdogan ein zynisches Verhalten zeige. «Er könnte etwas tun, aber weil auf der anderen Seite der Grenze Kurden stehen und weil er mit der eigenen kurdischen Minderheit im Land seit bald 30 Jahren Krieg führt, will Erdogan diesen Kurden nicht helfen.» Er nehme so in Kauf, dass der IS die Stadt Kobane erobern wird.
Solange die Kurden die Stadt Kobane halten könnten, werde Erdogan ihnen nicht helfen. Er würde allenfalls nachher versuchen, den IS zurückzudrängen und eine Pufferzone an der Grenze einzurichten. Dort könnte er dann die 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die jetzt in der Türkei leben, wieder ansiedeln.
Für ein Zurückdrängen der Dschihadisten brauche es ein koordiniertes Vorgehen. «Die Türkei muss einig sein mit der westlichen Koalition. Diese Koalition muss einig sein mit den innersyrischen Gegnern des IS, also mit den Kurden und den arabischen Rebellen. Nur dann wird es Erfolge geben gegen diese Terrorgruppe.»
«Die Welt schweigt»
Der syrische Kurdenpolitiker Salih Muslim warf der internationalen Gemeinschaft Versagen vor. «Die Welt schweigt» angesichts des drohenden Massakers, kritisierte der Ko-Präsident der syrischen Kurden-Partei PYD.
Die Luftangriffe reichten nicht aus. «Wenn es den USA ernst wäre, könnten sie innerhalb kurzer Zeit zurückschlagen.» Muslim rief alle Kurden dazu auf, sich umgehend dem Kampf anzuschliessen. «Wer immer handeln wird, sollte das jetzt tun.»
Die türkische Regierung sagte den Kurden in Kobane zwar Unterstützung zu. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte bei einem Besuch in einem Flüchtlingslager im südtürkischen Gaziantep, Kobane stehe kurz vor dem Fall.
Am letzten Donnerstag hatte das Parlament in Ankara der türkischen Regierung erlaubt, zum Kampf gegen Terrororganisationen wie die IS-Miliz künftig Soldaten nach Syrien und in den Irak schicken. Doch einen schnellen Einsatz von Bodentruppen gegen den IS in der umkämpften syrischen Stadt stellte Ankara nicht
in Aussicht. Türkische Panzer und Soldaten blieben weiterhin an der Grenze stationiert, schritten aber nicht ein.
Zuerst muss Assad weg
«Wir werden alles nur Mögliche unternehmen, um den Menschen in Kobane zu helfen», sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu dem US-Sender CNN. «Bodentruppen zu schicken ist aber natürlich eine andere Entscheidung.»
Wenn man in Kobane eingreife, müsse man in ganz Syrien intervenieren. Davutoglu machte vielmehr klar, dass die Vorbedingung für ein Eingreifen in die Kämpfe ein Sturz von Präsident Baschar al-Assad sei.
Mit der zögerlichen Taktik riskiert die Türkei allerdings ein Wiederaufflammen des Konflikts mit der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Deren inhaftierter Chef Abdullah Öcalan hatte mit einem Ende des Friedensprozesses mit der türkischen Führung gedroht, sollte es in Kobane zu einem Massaker kommen. Die in Kobane kämpfenden Kurden sind mit der türkischen PKK verbündet.