Gestern hatte sich die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zum Mord an zwei Polizisten im Süden der Türkei bekannt. Es sei eine Vergeltung für den Selbstmordanschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Suruç vom Montag. Die Polizisten hätten mit dem IS kollaboriert, hiess es von Seiten der PKK.
Im Zusammenhang mit den Polizistenmorden nahm die türkische Polizei am Donnerstag drei Verdächtige fest, wie die Nachrichtenagentur Anadolu schreibt.
Zwei weitere PKK-Morde in Istanbul und Adana
Inzwischen habe sich die Jugendorganisation der PKK zu zwei weiteren Morden bekannt, berichtet Inga Rogg, NZZ-Korrespondentin in Istanbul.
Die Vorfälle ereigneten sich in Istanbul und in der südtürkischen Stadt Adana. Bei einem weiteren Anschlag in einer anderen Stadt soll zudem eine Person verletzt worden sein. Die Jugendorganisation behauptet, die Männer hätten entweder für den IS Werbung betrieben oder gar gegen die Kurden in Syrien gekämpft.
Aufrufe zur Deeskalation
Viele Beobachter in der Türkei zeigten sich besorgt über die spürbare Zunahme der Spannungen, sagt Rogg. In Zeitungskommentaren gebe es Aufrufe zu einer dringenden Deeskalation. Der Friedensprozess zwischen den Kurden und der türkischen Regierung müsse wieder vorangetrieben werden; gleichzeitig mit dem Kampf gegen die Terrormiliz IS.
Besorgt ist offensichtlich auch Washington: In der letzten Nacht telefonierte Präsident Barack Obama erstmals seit langer Zeit wieder mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Beide Länder wollten zusammenarbeiten, um den Strom ausländischer Kämpfer
einzudämmen, erklärte das Präsidialamt in Washington.
Stimmung kehrt gegen Kurden
Laut Rogg hat sich seit dem Anschlag in Suruç die Stimmung zum Teil wieder gegen die Kurden gewendet. «Kurdische Kreise sehen nur die Opfer von Suruç, die bekanntlich pro-kurdische Aktivisten waren.» Die andere Seite habe nur die Morde an den beiden Polizisten im Auge.
Die jüngsten Ereignisse erschweren aber auch die Regierungsbildung, die seit den Wahlen von Anfang Juni aussteht. Die Stabilität des Landes sei zwar nicht konkret bedroht, habe die Türkei doch Erfahrung mit extremer Gewalt, schätzt Rogg. Ungeachtet dessen gebe es aber ein Machtvakuum.
Koalition bereits vom Tisch
So sprach sich heute die Sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP) als zweitgrösste Partei gegen eine Koalition mit der Regierungspartei AKP von Erdogan aus.
Damit fällt das bisher wahrscheinlichste Szenario weg. Im Vordergrund stehen nun offenbar vorgezogene Neuwahlen. Das wiederum würde bedeuten, dass sich das Machtvakuum bis in den Herbst hinzieht oder noch länger.
Beim Anschlag in einem Kulturzentrum in Suruç starben Anfang der Woche 32 Anhänger eine sozialistischen Jugendorganisation, rund 100 wurden verletzt. Die insgesamt rund 300 Jugendlichen wollten in die benachbarte syrische Kurdenstadt Kobane reisen, um dort Hilfe zu leisten.