Der Mann, der am Ursprung der Enthüllungen eines Überwachungsprogrammes des US-Geheimdienstes NSA steht, war über Jahre in der Schweiz tätig.
Edward Snowden kam 2007 unter Diplomatenschutz nach Genf, wo er für das CIA tätig war und Zugang zu klassifiziertem Material hatte. Dort habe er als Angestellter im Bereich IT-Sicherheit zum ersten Mal das Verlangen verspürt, an die Öffentlichkeit zu bringen, was er über das NSA-Programm der Internet-Überwachung wusste, sagte der 29jährige im Gespräch mit der britischen Zeitung «Guardian».
Die US-Spionageaffäre
In Genf desillusioniert
Dank seiner Kenntnisse des Internets und seines Talents im Bereich der Computer-Programmierung stieg er beim US-Geheimdienst CIA rasch auf, berichtet das Blatt. Angewidert davon, was er dort entdeckte, erwog er, die Existenz jener Programme aufzudecken, die «einen Missbrauch» der Öffentlichkeit im Namen der Sicherheit darstellten. «Vieles davon, was ich in Genf sah, hat mich wirklich desillusioniert darüber, wie meine Regierung arbeitet und was ihr Einfluss auf die Welt ist», sagte er der Zeitung.
Enttäuscht von Obama
Er habe die Wahl von Barack Obama im Jahr 2008 abgewartet, in der Hoffnung, der neue Präsident würde einen besseren Schutz vor solchen Praktiken durchsetzen. Aber «er führte die Politik seiner Vorgänger fort», begründete Snowden seine Aktion. 2009 verliess er die CIA und arbeitete für ein privates Unternehmen, das ihn mit einer Funktion bei einem NSA-Standort auf einer Militärbasis in Japan beauftragte. Er wolle mit der Enthüllung aufwecken, nicht schaden: «Wenn ich den USA hätte Schaden zufügen wollen: man kann das Überwachungssystem abstellen innerhalb eines Nachmittags.»
Datenkrake NSA
Er zeichnete gegenüber der britischen Zeitung eine noch grössere Dimension der Datensammlung, als die von ihm enthüllten Dokumente andeuten: «Die NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die ihr erlaubt, fast alles abzufangen.» Damit werde der Grossteil der menschlichen Kommunikation automatisch aufgesaugt.
«Wenn ich in ihre E-Mails oder in das Telefon ihrer Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen. Ich kann ihre E-Mails, Passwörter, Gesprächsdaten, Kreditkarten-Informationen bekommen», erläutert er.
Flucht nach Hongkong - Auslieferung möglich?
Snowden war vor rund drei Wochen mit den geheimen NSA-Dokumenten nach Hongkong geflohen. Snowden machte klar, dass er sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst sei. Er gehe davon aus, dass er nie wieder mit seiner Familie oder seinen Freunden Kontakt aufnehmen könne. Seine Hoffnung sei derzeit, dass ihn Hongkong nicht ausliefern werde, auch wenn ihm das Risiko einer Gefängnisstrafe von Anfang an klar gewesen sei. Snowden versteht sich als klassischer Whistelblower. «Ich glaube nicht, dass ich mein Zuhause jemals wiedersehen werde.» Allerdings: «Wenn sie dich erwischen wollen, werden sie das. Man kann nicht ernsthaft glauben, sich dem Geheimdienstapparat entgegenstellen zu können.»
Der «Washington Post» zufolge besteht die reale Möglichkeit einer Auslieferung. Hongkong ist ein halbautonomes Territorium Chinas. Während es kein Auslieferungsabkommen mit China gebe, hätten die USA seit 1998 eines mit Hongkong, schrieb die Zeitung. Ein Verfahren könne allerdings Monate oder Jahre dauern. «Ich bin nach Hongkong geflohen, weil ich glaube, dass die Regionalregierung hier relativ frei ist, im Vergleich zu anderen westlichen Staaten», so der Mann.
Identitätsfreigabe
Die Berichte über ein flächendeckendes Abgreifen von Nutzer-Daten bei US-Internet-Konzernen durch den Geheimdienst NSA haben weltweit für Empörung gesorgt.
Internet-Konzerne wie Google, Yahoo oder Facebook, die angeblich ihre Infrastruktur dem US-Geheimdienst im Rahmen des Prism-Programms zur Verfügung gestellt hatten, dementierten zwar umgehend ihre Beteiligung: «Es gibt keinen direkten Zugriff auf die Server». Dennoch, die Zweifel blieben.
Und nun tritt eben die Quelle der Information über das gigantische Überwachungsprogramm ans Licht. Der «Guardian» hatte am Sonntagabend berichtet, dass hinter der Enthüllung der 29jährige Techniker steckt, der derzeit auch überlegt, um Asyl zu bitten. Seine Identität hat die britische Zeitung auf Bitten von Snowden preisgegeben, stellt das Blatt klar.