SRF: Hat Sie das Ausmass der psychischen Folterungen durch die CIA überrascht?
Dr. Rainer Mausfeld: Nein. Schon 2008 gab es einen Senatsbericht, in dem genau diese Techniken wie sexuelle und kulturelle Erniedrigung, Schlafentzug und anderes beschrieben wurden.
Die CIA spricht von «verschärften Verhörmethoden», andere sprechen von Folter. Wo verläuft denn die Grenze zwischen legitimer Verhörtechnik und psychischer Folter?
Zunächst muss man eingestehen, dass es keine klare und präzise Definition gibt, was Folter genau ist. Man kann nur versuchen, zu präzisieren, was im Kern mit Folter gemeint ist. Wichtig ist: Das absolute Folterverbot im Völkerrecht ist keinen Nützlichkeitsabwägungen zugänglich. Es ist grundsätzlich also nicht statthaft, das Folterverbot gegen andere Rechtsgüter abzuwägen. Der Kern der Folter ist nicht eine körperliche Verletzung, sondern der zentrale Angriff auf die Würde des Menschen. Der Betroffene darf in einem Verfahren also nicht zu einem blossen Objekt gemacht werden.
Das ist die rechtliche Argumentation. Gibt es auch aus psychologischer Sicht Dinge, die Folter zur Folter machen?
Das bestimmende Merkmal der Folter ist die totalitäre interpersonelle Situation, in welcher der Gefolterte in seiner gesamten Existenz dem Willen des Folterers ausgesetzt wird. Für einen demokratischen Rechtsstaat besteht nun aber das Problem, dass man die Folter – wenn man sich ihrer bedienen will – für die Öffentlichkeit unsichtbar machen muss; wegen dem absoluten Folterverbot. Nun haben Psychologen dazu beigetragen Techniken zu entwickeln, wie man durch eine Kombination kleiner Einheiten wie Schlafentzug, Augenbinden, schalldichte Kopfhörer und Techniken der Erniedrigung ein Gefangener rasch auf eine infantile Stufe zurücksetzen kann. Das bewirkt ein Verfallen seiner psychischen Integrität, sein Wille wird gebrochen. Die Bevölkerung ihrerseits nimmt die Einzelteile dieser integralen Foltertechnik nicht als solche wahr. Der Beitrag der Psychologen liegt also darin, Techniken zu entwickeln, die einzeln nicht als Folter angesehen werden, die aber in ihrer Kombination die Wirkung haben, den Einzelnen in einer totalitären Situation zum Objekt des Verhörers zu machen.
Offenbar wird das erreicht, indem man die Folteropfer von vielen Sinneswahrnehmungen abschneidet...
Wir ertragen es nicht, wenn wir von allen biologischen Rhythmen abgeschnitten werden. Der Geist, die Psyche, neigt dann dazu zu disintegrieren, Halluzinationen und Psychosen zu erzeugen. Die Psyche zerfällt. Wenn diese Praktiken systematisch und über längere Zeit angewendet werden, wird die psychische Integrität einer Person viel radikaler zerstört als man das mit körperlicher Folter erreichen kann.
Lässt sich sagen, ob aus psychologischer Sicht körperliche oder psychische Folter schlimmere Folgen haben?
Die physische Folter ist natürlich gleichzeitig auch eine psychische Folter. Doch eine sehr raffiniert durchgeführte sogenannte weisse, unblutige Folter, die auf den Kern einer Person zielt, hat sehr viel schlimmere Folgen. Dies weil das Opfer hinterher nicht in der Lage ist, sich mit seiner Foltererfahrung in adäquater Weise auseinanderzusetzen.
Nun ist es ja nicht das erste Mal, dass Psychologen ein Folterprogramm mit ausgearbeitet haben. Wie steht eigentlich Ihre Standesorganisation zu diesem Thema?
In den konkreten Fällen waren von Anfang an Mitglieder der Standesorganisationen bei der Entwicklung und Durchführung beteiligt. Die Standesorganisation der USA hat gegenüber dem Justizministerium Expertisen abgegeben.Sie hat damit den verwendeten Foltertechniken eine ethische Legitimation gegeben. Im Nachhinein bedient sie sich nun der üblichen Rechtfertigungsrhetorik. Man sagt etwa, es seien nur einige schwarze Schafe gewesen, es seien nur Einzelfälle. Aber sie hat sich bisher ihrer Verantwortung, die sie durch ihre Beteiligung hat, noch nicht gestellt.
Könnte der Bericht des US-Senats jetzt ein Umdenken bewirken?
Das glaube ich nicht. Man wird versuchen, den Schaden in der Öffentlichkeit weiterhin dadurch zu begrenzen, dass man sagt, es seien nur bedauerliche Einzelfälle. Auch nennt man es nicht «Folter», sondern «verschärfte Verhörmethoden». Ich habe den Eindruck, in den Standesorganisationen gibt es kein Umdenken. Das ist nicht verwunderlich, denn das ist der normale Reflex, den Standesorganisationen nun einmal haben.
Das Interview führte Roman Fillinger.