SRF News: Nach dem Fall von Ramadi hiess es von den USA, dieser Verlust sei gar nicht so schlimm. Stimmt das wirklich?
Stephan Bierling: Die Eroberung von Ramadi ist ein deutlicher Rückschlag für die Allianz, die gegen den IS kämpft. Schliesslich dachte man nach den vergangenen Monaten, dass der Vormarsch des IS vor allem im Irak gestoppt sei. Gleichzeitig sind aber nicht primär die USA betroffen. Mehr betroffen sind die Regime in der Region, weil der IS als Ziel ausgibt, die etablierte Staatenstruktur der Region zu überwinden und durch das Kalifat zu ersetzen. Das heisst, in Bagdad, Riad und in anderen Städten der Region würde ich mir grössere Sorgen machen als in Washington.
Offenbar haben die USA die irakische Regierung im Vorfeld unter Druck gesetzt, dass keine schiitischen Milizen in den Kampf geschickt werden. Warum das?
Es ist nicht nur ein machtpolitischer, sondern auch ein religiöser Konflikt. Die Regierung von Al-Maliki, die 2008 bis 2014 im Irak im Amt war, hat sehr stark auf diese konfessionelle Unterscheidung gesetzt und die Sunniten ausgegrenzt. Diese Sunniten sind jetzt das Rückgrat des IS. Gibt sich die irakische Regierung nun als Kämpfer für schiitische Interessen, ist dies eine Katastrophe für die Bewohner von Ramadi. Diese hegen zum Teil Sympathien für den IS. Nicht, weil sie mit den Methoden einverstanden sind, sondern weil sie sich von der Regierung in Bagdad ausgegrenzt fühlen.
Nun war die irakische Armee doch zu schwach, um sich der Terrormiliz IS entgegenzusetzen. Tragen die USA also durch ihr Veto gegen die schiitischen Milizen eine Mitschuld am Fall von Ramadi?
Das würde ich nicht so sehen. Die irakische Armee ist korrupt, sie hat kaum Kampfmoral. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es der Irak im Grunde nie geschafft hat, eine überkonfessionelle Armee aufzubauen und diese systematisch auch auf solche Häuserkämpfe vorzubereiten. Wenn man sich dann auf diese schiitischen Milizen verlässt, gibt es Probleme. Die Amerikaner wollen eben gerade nicht, dass es die Schiiten sind, die den IS bekämpfen. Der Irak als Staat soll dafür zuständig sein. Und die Amerikaner versuchen, diesen irakischen Staat irgendwie zusammenzuhalten. Deshalb raten sie auch immer wieder dem neuen Ministerpräsidenten al-Abadi, nicht nur auf die schiitische Karte zu setzen.
Muss man denn zusammenfassend sagen, dass die amerikanische Strategie gegen den IS gescheitert ist?
Gescheitert ist die irakische Strategie. Doch auch die amerikanische Strategie, die im Grunde nur Hilfestellungen geben will aus der Luft und beim Training irakischer Truppen, ist bestimmt nicht völlig aufgegangen. Es dürfte noch einige Zeit dauern und es wird wahrscheinlich zuletzt amerikanische «boots on the ground» benötigen, um den IS dauerhaft zurückzudrängen und zu schlagen. Auf diese Frage nach möglichen Kampftruppen will Präsident Barack Obama im Moment überhaupt nicht eingehen. Irgendwann wird er aber darüber entscheiden müssen, weil die irakische Armee und auch die schiitischen Milizen es alleine nicht schaffen werden.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.