Im kommenden Jahr jährt sich der Genozid in Ruanda zum 20. Mal. In rund 100 Tagen wurden damals eine Million Menschen getötet.
Paul Kagame, damals Rebellenführer der Ruandischen Patriotischen Front, beendete den Völkermord an den
Tutsis. Seit 2000 ist er Präsident. Beim Volk ist er beliebt – die Menschen schreiben ihm eine massgebliche Rolle an der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwung im Land zu.
International wird ihm vorgeworfen, dass er für den Aufbau Ruandas demokratische Grundrechte missachtet. Kagame soll die M23-Rebellen unterstützen, die im September von UNO-Truppen aus der kongolesischen Stadt Goma vertrieben wurden.
Über die Vergangenheit reden
Auf die Frage, wie Kagame ausländische Investoren davon überzeugen will, dass Ruanda sicher und stabil sei, meint er, dass die Regierung ein sicheres Umfeld für die Einwohner des Landes geschaffen habe. Die Menschen müssten sich sicher fühlen – nicht nur physisch. Sie bräuchten auch die Gewissheit, genug zu essen haben und einen Job. Ruanda sei heute ein gesetzestreues Land, so Kagame.
Jahrzehnte von Hass und Korruption sind dem vorausgegangen. Kann man Menschen wirklich ändern und wie will die Regierung sicherstellen, dass es keinen Genozid mehr gibt?
Mit einem Augenrollen antwortet Kagame, dass man kein Land führen könne ohne Vision, ohne dass die Leute wissen, wohin man unterwegs sei und was man selber dazu beitragen könne.
Die Leute müssten beginnen über die Vergangenheit zu reden – darüber, was mit ihnen geschehen sei und weshalb ein Genozid möglich war. «Das ist ein langer Prozess», sagt Kagame. Die Vergangenheit könne man nicht in zwei oder drei Jahren aufarbeiten.
«Dunkelheit der Nacht»
Der Genozid hatte verschiedene Ursachen. Viele Probleme waren intern, andere waren Einflüsse von aussen. Die Regierung Kagame habe Organisationen zur Aufarbeitung ins Leben gerufen, sagt Kagame. Diese müssten klären, wieso sich Menschen im selben Land gegenseitig umbrachten.
Laut Kagame gab es vor 20 Jahren keine starke Führung im Land, die das Böse hätte verhindern können. Die Menschen wuchsen in einem schlechten Umfeld auf und wurden nicht dazu erzogen, kritisch zu denken und sich dem Bösen zu widersetzen. «Auch wenn irgendwelche Führer sagen: Geh und töte deine Nachbarn. Du musst Nein sagen können.»
Kagame: «Die Dunkelheit der Nacht wird nur von denjenigen verstanden, die nachts unterwegs sind. Man kann die Dunkelheit nicht am Bürotisch begreifen, man muss in sie eintauchen.»
«Vorurteile» über Afrika
Wie will Kagame die Stabilität im Land sicherstellen – auch über seine Amtszeit hinaus? Man wisse nie, ob jemand komme, der alles zerstöre, antwortet er. Er sei aber nicht Gott, er kreiere keine Menschen und er könne auch nicht in die Zukunft schauen.
Aber er versuche alles, um die positiven Prozesse zu schützen und die Zukunft vorhersagbar zu machen. Die Existenz von Institutionen, die der Bevölkerung dienen, sei wichtig. «Für den Rest muss man zu Gott beten.»
Kagame kritisiert, Ruanda und Afrika würden vom Westen falsch wahrgenommen. In den Köpfen hielten sich hartnäckig Vorteile: In Afrika klappe nichts, der Kontinent sei korrupt.
«Ungerechter Westen»
Auf die Entgegnung, man habe schlechte Beispiele in Afrika gesehen, konterte Kagame vehement, dass es genauso viele schlechte Beispiele in Europa gab und gebe. Man solle ihm ein Land in Europa nennen, dass wirklich frei von Korruption sei. Eines Tages würde die Wahrheit ans Licht kommen, egal welche Lügen bis jetzt über ihn als Präsident und über das Land verbreitet werden.
Es sei ungerecht, dass man Ruanda keine Zeit zugestehen wolle, um Probleme aus der Welt zu schaffen. «Der Westen will, dass Afrika und Ruanda sofort dort sind, wo sie sind.» Etwas Zeit brauche es schon.