Die Lokführergewerkschaft GDL will den Schienenverkehr in Deutschland für fast eine Woche lahmlegen. Schon seit dem Nachmittag bestreiken die gewerkschaftlich organisierten Lokführer den Güterverkehr. Der Personenverkehr soll ab Dienstagnacht um zwei Uhr bis am Sonntagmorgen landesweit bestreikt werden. Auch wenn die Bahn an einem Notfallfahrplan arbeitet, müssen sich Reisende auf sechs Tage voller Zugsausfälle und ungewisser Verbindungen einstellen.
Davon betroffen ist auch die Schweiz. Gemäss Reto Schärli, Mediensprecher der SBB, fallen die Verbindungen nach München ab Bregenz aus. Züge nach Stuttgart fahren nur bis Schaffhausen. Und über Basel werden rund 50 Prozent aller Verbindungen nach Deutschland gestrichen.
Website wird laufend aktualisiert
Insgesamt fallen laut Schärli wegen des Streiks rund 40 Züge pro Tag aus, wobei hier die Züge verrechnet sind, die entweder ab der Schweizer Grenze nicht weiterkommen oder – aus Richtung Deutschland – die Schweizer Grenze nicht erreichen. Hochgerechnet auf die sechs Tage, die der Streik dauern soll, ist also schlimmstenfalls mit fast 250 ausfallenden Zugverbindungen zu rechnen.
Welche deutschen Ziele mit den SBB erreicht werden können und welche nicht, bleibt laut Schärli im Einzelfall einer Reise abzuklären – beispielsweise über die laufend aktualisierten Informationen auf der SBB-Internetseite.
Bereits der achte Streik in der laufenden Auseinandersetzung
Der von der GDL veranlasste Streik ist bereits der achte in der seit Monaten laufenden Auseinandersetzung – und der bisher längste. «Erneut zwingt die Deutsche Bahn die eigenen Lokomotivführer, Lokrangierführer und Zugbegleiter zum Arbeitskampf», erklärte die GDL am Sonntagabend.
Die GDL hatte am vergangenen Donnerstag das neue Angebot der Bahn zurückgewiesen und einen weiteren langen Arbeitskampf angekündigt. Die Bahn hatte angeboten, die Löhne vom 1. Juli an in zwei Stufen um insgesamt 4,7 Prozent zu erhöhen. Dazu sollte bis zum 30. Juni eine Einmalzahlung von insgesamt 1000 Euro kommen.
Fünf Prozent mehr Lohn
Die GDL fordert für die Beschäftigten fünf Prozent mehr Lohn und eine Stunde weniger Arbeitszeit pro Woche. Ein Knackpunkt für die GDL ist die Einstufung der Rangierlokführer im Tarifgefüge der Bahn.
Der Konflikt ist auch deshalb so schwierig, weil die GDL mit der grösseren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) um Einfluss im Konzern ringt. Zudem will die GDL einen Erfolg erzielen, bevor das kommende Tarifeinheitsgesetz der schwarz-roten Bundesregierung die Macht kleiner Gewerkschaften beschränkt. Zuletzt hatten die Lokführer vom 21. bis 23. April gestreikt.
Wirtschaft kritisiert Aufruf zum Streik
Scharfe Kritik am neuerlichen Aufruf zum Streik kam aus der Wirtschaft. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte die GDL auf, den angekündigten Streik sofort wieder abzusagen. «Der gesamten deutschen Wirtschaft drohen Schäden von täglich 100 Millionen Euro. Das Vorgehen der GDL ist verantwortungslos und vollkommen unverhältnismässig», sagte Kramer.
Auf die horrenden Kosten, die der Streik verursacht, pocht auch Alexander Schumann von der Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) im Interview mit der «Tagesschau»: «Alles in allem drohen Streikkosten von einer halben Milliarde Euro», klagt er.
Ökonomen zufolge könnte der Streik sogar das deutsche Bruttoinlandprodukt drücken. Laut Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt der Bank UniCredit, könnte er die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,1 Prozentpunkte senken. Rees rechnet für April bis Juni bislang mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. «Je länger der Streik dauert», so Rees, «umso grösser ist die Gefahr, dass auch mal Aufträge storniert werden.»