SRF News: Sie arbeiten mit Kollegen von der Universität Sanaa zusammen. Was erzählen die aus ihrem Alltag?
Marie-Christine Heinze: In Jemens Hauptstadt Sanaa werden derzeit von Saudi-Arabien immer wieder militärische Einrichtungen angegriffen. Wenn man sich nicht in der Nähe dieser Ziele aufhält, ist man persönlich nicht direkt gefährdet. Die Nahrungsmittelkrise findet denn auch vor allem auf dem Land, im Norden Jemens statt. Dort sind viele Strassen zerstört, es gibt Kämpfe und Lebensmittel können nur unter schwierigen Umständen dorthin transportiert werden.
Wie schwierig ist die medizinische Situation? Das Land ist zu 100 Prozent von Medizinal-Importen abhängig.
Und zu 90 Prozent von Lebensmittel-Importen. Das Gesundheitswesen liegt mehr oder weniger am Boden und inzwischen sterben auch viele Menschen mit Krankheiten, die sich eigentlich behandeln liessen. Oftmals fehlen Geräte oder Medikamente.
Ohne neue Resolution des Sicherheitsrats gibt es keinen Frieden.
Mehr als drei Millionen Menschen sind in Jemen auf der Flucht. Wohin fliehen sie?
Das ist unterschiedlich. Viele fliehen zu Verwandten aufs Land. Das bringt diese in Probleme, weil zur sowieso schon schwierigen Versorgung der eigenen Familie noch die Flüchtlinge aus der Stadt hinzukommen. Andere fliehen in Flüchtlingscamps. Wenn sie Glück haben, werden sie dort von Hilfsorganisationen versorgt – vielleicht aber auch nicht.
Man hört kaum von Jemeniten, die ins Ausland flüchten. Wieso?
Die Jemeniten verlassen ihr Land nicht gerne. Viele hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist und sie sich an den Wiederaufbau des Landes machen können. Es liegt aber auch daran, dass die Fluchtrouten abgeschnitten sind. Es bliebe praktisch nur die Flucht nach Saudi-Arabien, aber dieses ist Kriegspartei. Für eine Flucht nach Oman müsste man zuerst eine grosse Wüste durchqueren, um nach Eritrea oder Dschibuti zu gelangen das Rote Meer. Das ist für viele viel zu gefährlich und auch zu teuer.
In Jemen kämpfen Huthi-Rebellen gegen die vertriebene Regierung von Präsident Hadi. Die Huthis werden von Iran, Hadi von Saudi-Arabien unterstützt. Handelt es sich also vor allem um einen Stellvertreterkrieg?
Das kann man so nicht sagen. Vor allem aus saudischer Sicht ist es vielleicht ein Stellvertreterkrieg. Riad glaubt, es müsse die Südflanke gegen die mit Iran verbündeten Rebellen verteidigen. Tatsächlich aber geht es vor allem um Macht und den Zugang zu Ressourcen.
Die USA haben kürzlich eine Waffenlieferung an Saudi-Arabien gestoppt, weil sie sich über die vielen zivilen Opfer in Jemen besorgt zeigen. Ändert das etwas in diesem Konflikt?
Kaum. Wenn die USA tatsächlich auf ein Ende des Krieges hinwirken wollten, würden sie das Auftanken der saudischen Flugzeuge einstellen und alle Waffenlieferungen beenden. Ausserdem liefern nicht nur die USA Waffen in die Region, auch Grossbritannien, Deutschland und andere Länder beliefern Riad mit Waffen. Deshalb wird der Krieg wohl weitergehen.
Was wären die Voraussetzungen für einen Frieden in Jemen?
Beide Parteien müssten gewillt und dazu in der Lage sein, sich auf eine Regierung zu einigen, die von allen akzeptiert wird. Das scheint sehr schwierig zu sein. Beide Seiten sind derzeit damit beschäftigt, eigene Regierungsstrukturen aufzubauen.
Die Huthi tun dies gemeinsam mit dem früheren Präsidenten Saleh in Sanaa und im Norden des Landes. Er verfügt über starken Rückhalt bei den jemenitischen Sicherheitskräften und bei den einfachen Jemeniten. Im Süden des Landes dagegen hat die Exilregierung in Aden eine Übergangshauptstadt eingerichtet und versucht dort, Regierungsstrukturen aufzubauen.
Exilpräsident Hadi ist nicht bereit, die Macht an einen Vizepräsidenten abzugeben, auf den sich beide Seiten einigen könnten. Seine Haltung wird durch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats gestützt, die verlangt, dass sich die Huthi-Rebellen aus Sanaa zurückziehen, die Waffen abgeben und die legitime Regierung anerkennen. Aber so lange es keine neue Sicherheitsrats-Resolution gibt, sind beide Seiten auch nicht bereit, einen Kompromiss zu schliessen.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.