Normalerweise wird Kritik auf der diplomatischen Bühne nur wattiert geäussert. Doch was sich der UNO-Sicherheitsrat neuerdings von der UNO-Generalversammlung anhören muss, sind alles andere als höfliche Floskeln. Allerdings hat der Sicherheitsrat mit seinem jüngsten Rechenschaftsbericht die UNO-Mitgliedsländer richtiggehend provoziert.
Nichtssagende Statistiken, belanglose Aufzählungen trug der australische Präsident des Rates vor: «Der Sicherheitsrat hat 238 formale Treffen durchgeführt, 218 davon waren öffentlich. Zudem nahm er 55 Resolutionen und 26 präsidentielle Statements an und veröffentlichte 113 Mitteilungen an die Presse.»
Kritik: Fehlende Transparenz und Kooperation
Keine Substanz, kein echter Einblick in das Tun des einflussreichsten UNO-Organs. Die Quittung kam sogleich, ein verbales Trommelfeuer. Drei Stunden heftige Schelte, etwa vom Vertreter Indiens: «Leider bleibt der Rechenschaftsbericht eine reine Liste mit statistischen Daten, wie der Auflistung von Meetings und den daraus resultierenden Dokumenten.»
Die Botschafterin Malaysias fordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung. Brasiliens Repräsentant wirft dem Rat vor, in Krisen zu versagen. Und ihr Kollege aus Portugal kritisiert die Heimlichtuerei des Sicherheitsrates und verlangt endlich Transparenz: «In einem Organ, dessen Mitgliederzusammenstellung eingeschränkt ist, und das dennoch für sämtliche Mitglieder der Generalversammlung handelt, ist Transparenz der Schlüssel.»
Schweiz unter schärfsten Kritikern
Ob es um den Syrien-Krieg geht, um die Menschenrechtsverletzungen Nordkoreas oder die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied in die UNO: Überall möchte die Generalversammlung mit grossem Mehr handeln, doch der Sicherheitsrat blockiert alles, weil eine oder mehrere der Grossmächte ihr Veto einlegen.
Zu den schärfsten Kritikerinnen des Sicherheitsrates gehört die Schweiz. Sie koordiniert eine wachsende Gruppe von Staaten, die immer entschiedener Reformen verlangen.
Die Schweiz will zum Beispiel, dass der Sicherheitsrat nicht länger in alleiniger Machtvollkommenheit den UNO-Generalsekretär ernennt. Oder dass die Grossmächte freiwillig auf ihr Veto verzichten, wenn es um Genozid oder Menschenrechtsverbrechen geht.
Berns Vertreter am UNO-Hauptsitz, Paul Seger, ist zuversichtlich, dass sich, wenn auch langsam, etwas bewegt: «Das Thema Veto, das immer ein Tabu war, kommt jetzt offenbar etwas ins Wanken.» Sogar unter den Veto-Mächten selber fand man jetzt einen Verbündeten, nämlich Frankreich: «Wenn man früher und heute vergleicht, gibt es nun wenigstens eine Diskussion», so Seger, «einen Haarriss in der Betonwand des Tabus».
Wenig Chancen für Reformen
Weniger Arroganz, weniger Geheimnistuerei, mehr Einbezug aller UNO-Mitglieder, mehr Transparenz, weniger Vetos – ehrgeizige Ziele. Seger weiss: «Der Sicherheitsrat ist kein Organ, das sehr reformfreudig ist, vor allem die fünf ständigen Mitglieder sind es nicht.» Immerhin: Zumindest punkto Transparenz gibt es Fortschritte, stellte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon fest, der ebenfalls Reformen fordert.
Die seit Jahrzehnten überfällige fundamentale Reform des Sicherheitsrates mit einer neuen Zusammensetzung und neuen ständigen Mitgliedern scheint völlig chancenlos. Dafür tut sich nun wenigstens etwas bei der Arbeitsweise des Gremiums. Der Druck der Mitglieder auf den Klub der Mächtigen steigt.