Seit über fünf Jahren tobt in Syrien ein unerbittlicher Bürgerkrieg, der sich längst zum Stellvertreterkrieg ausgewachsen hat. Der Blutzoll ist unverändert hoch, erst gestern trug der Islamische Staat seinen Terror in die Hauptstadt – über 70 Menschen starben bei einem Doppelanschlag auf ein Schiiten-Heiligtum in Damaskus. Derweil hat in Genf das Tauziehen um Frieden begonnen.
Dort angekommen, bezeichnete ein Vertreter des Assad-Regimes die zersplitterten Rebellen- und Islamistengruppen erst einmal pauschal als «Terroristen»; die Vertreter der Opposition, des «Hohen Verhandlungskomitees der Regimegegner», trafen erst verspätet zu den Verhandlungen ein – und drohten sogleich mit der Abreise. Direkte Verhandlungen schlossen beide Parteien aus.
Dafür, dass «Genf III» den syrischen Knoten lösen kann, spricht also vordergründig wenig. Zumal gewichtige Akteure, allen voran die Kurden, gar nicht erst eingeladen wurden. Geleitet wird die Diplomatie-Offensive vom UNO-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura. Und dieser machte sich schon im Vorfeld keine Illusionen über das Gesprächsklima am Genfersee: «Es wird Delegationen geben, die die Verhandlungen türeknallend verlassen.»
Es gibt noch gar keinen Verhandlungstisch.
Dafür, dass sie nicht auch gleich das Land verlassen, will de Mistura mit einer Politik der ganz kleinen Schritte sorgen – und die verfeindeten Parteien äusserst behutsam zusammenführen. Das Wort der Stunde in Genf heisst Pendeldiplomatie, weiss Fredy Gsteiger, Diplomatischer Korrespondent von SRF: «Die verschiedenen Verhandlungsparteien sitzen noch gar nicht an einem Verhandlungstisch, sondern in verschiedenen Räumen innerhalb des Palais des Nations.»
De Mistura werde, so Gsteiger, abwechselnd mit verschiedenen Delegationen Unterredungen führen – und dann die jeweiligen Äusserungen zu den anderen Parteien tragen. Neuland betritt die internationale Diplomatie damit nicht: Etwa das Camp-David-Abkommen von 1978 brachte Israels Premier Jitzchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat zunächst nur indirekt zusammen; ein Erfolg der Pendeldiplomatie, die der damalige US-Präsident Jimmy Carter initiiert hatte.
Die Grenzen der Pendeldiplomatie
«Das Mittel wird immer dann angewendet, wenn die Positionen sehr weit auseinanderliegen», so Gsteiger. In Syrien ist das zweifelsfrei gegeben: «Es ist nicht einmal klar, ob beide hauptbeteiligten Parteien – Regime-Vertreter oder Opposition – wirklich Frieden wollen.» Tatsächlich deutet manche Aussage der Akteure bislang auf zweifelhafte Motive in Genf hin: Nämlich die jeweils andere Partei mangelnder Verhandlungsbereitschaft zu bezichtigen.
Um die Konfliktparteien tatsächlich zu Konzessionen zu bewegen, stehen die Regional- und Grossmächte in der Pflicht: «Die Russen, Amerikaner, die EU, die Saudis – sie alle müssen ihren Einfluss geltend machen und Druck ausüben», so Gsteiger. Damit daraus keine blossen Muskelspiele werden, braucht es indes einen gewieften Verhandlungsführer: «Syrien-Vermittler de Mistura steht im Rampenlicht, er ist eine Schlüsselfigur», befindet Gsteiger.
Kein Exerzierfeld für Jungspunde
Schlüsselfiguren bei der Befriedung des zerfahrenen Syrien-Konflikts waren auch schon der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan und Lakhdar Brahimi; beide versuchten sich als Syrien-Vermittler, beiden initiierten Friedengespräche in Genf – und beide warfen schliesslich entnervt den Bettel hin. Genf I und Genf II versandeten. Ein Schicksal, das auch dem italienisch-schwedischen Diplomaten de Mistura droht? Möglicherweise, befindet Gsteiger: «Vielleicht hat auch er irgendwann das Gefühl, er sei verheizt worden. Aber im Moment wirkt er sehr hartnäckig.»
Damit umschreibt der SRF-Korrespondent nur eines von vielen Merkmalen, die de Mistura zum geeigneten Verhandlungsführer machen: «Er bringt jahrzehntelange Erfahrung mit – es gibt kaum je Vermittler, die diplomatische Jungspunde sind. Ganz wichtig ist auch, dass die Person von allen akzeptiert wird und als neutral betrachtet wird. Sie darf auch kein Amt mehr anstreben – etwas dasjenige des UNO-Generalsekretärs». All dies sei bei de Mistura gegeben.
Erste positive Zeichen
Immerhin, erste Zeichen von Gesprächsbereitschaft sind auszumachen: De Mistura zeigte sich nach einem ersten informellen Treffen mit der Opposition trotz der angespannten Stimmung «optimistisch». Diese sprach ihrerseits von «sehr positiven Gesprächen». Für heute sind erstmals getrennte offizielle Gespräche mit beiden Seiten geplant.
Dort wird der Syrien-Vermittler sein taktisches Geschick in die Waagschale werfen müssen – und er wird Durchhaltevermögen brauchen: Der 69-Jährige rechnet damit, dass die Verhandlungen aufgrund der grossen Gegensätze zwischen den verfeindeten Parteien mindestens sechs Monate dauern werden.