Innert weniger Stunden haben die islamistischen Taliban in einer Offensive grosse Teile der Provinzhauptstadt Kundus im Norden Afghanistans eingenommen. Dabei wurden laut Angaben der lokalen Sicherheitskräfte hunderte islamistische Kämpfer aus dem Gefängnis befreit. Davor hätten mit schweren Granaten bewaffnete Islamisten die Sicherheitskräfte beim Hauptgefängnis überwältigt.
Auch das öffentliche Spital, mehrere Regierungs- sowie das Gerichtsgebäude haben die Taliban innert weniger Stunden unter ihre Kontrolle gebracht. Über dem zentralen Platz der Stadt haben sie bereits ihre Fahne gehisst. Der Palast des Provinzgouverneurs und das Polizei-Hauptquartier sind laut Polizeiangaben dagegen noch in der Hand der afghanischen Sicherheitskräfte.
Regierungstruppen seien unterwegs, um diese bei den nach wie vor andauernden Kämpfen zu unterstützen. Dies sagte der Provinzgouverneur am Flughafen der Stadt, an den er aus seinem Amtssitz geflüchtet war.
Angaben zu Opfern der Kämpfe lagen zunächst nicht vor. Mit Ausbruch der Kämpfe seien sämtliche Ausländer zum Flughafen geflüchtet, berichtet ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation am Telefon. Lediglich die Einheimischen seien noch in der Stadt. Diese wurden von den Taliban aufgefordert, bis zum Ende der Kämpfe in ihren Häusern zu bleiben.
Prekäre Sicherheitslage in der gesamten Provinz
Zwei Jahre nach dem Abzug der deutschen Bundeswehr droht Kundus als erste Provinzhauptstadt Afghanistans an die Taliban zu fallen. Mehrfach hatten die Aufständischen in diesem Jahr bereits Angriffe auf Kundus unternommen. Im Juni drangen sie laut Augenzeugenberichten bis an den Stadtrand vor. Ebenfalls im Juni nahmen die Taliban den Distrikt Dascht-e-Archie ein, die anderen sechs Distrikte rund um die Stadt sind umkämpft.
Dabei erbeuteten die Islamisten laut einem afghanischen Regierungsmitarbeiter 25 bis 30 teils gepanzerte Kampffahrzeuge vom Typ Humvee. Mit diesen waren die afghanischen Sicherheitskräfte von der US-Armee ausgerüstet worden. Ausserdem sollen die Islamisten in der Provinz Kundus über eine schnelle Eingreiftruppe mit rund 600 Mann verfügen, wie sie in hochprofessionellen Armeen üblich sind.
Angeblich sollen die Taliban bereits vor dem heutigen Angriff auf Kunduz 80 Prozent der gleichnamigen Provinz kontrolliert haben. Als die deutsche Bundeswehr 2003 ihren zehnjährigen Einsatz in Kundus begonnen hatte, galt die Region noch als eine der sichersten des Landes. Bereits bei Beendung des Einsatzes 2013 hatte sich die Sicherheitslage jedoch deutlich verschlechtert.