Heute wird Justizgeschichte geschrieben: Zum ersten Mal steht ein mutmasslicher Dschihadist wegen der Zerstörung von Unesco-Weltkulturerbe vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag.
Ein Rebellenführer einer Al-Kaida nahen Organisation muss sich wegen der Zerstörung von Heiligengräbern und einer Moschee in der Oasenstadt Timbuktu im westafrikanischen Mali verantworten. Die Anklage lautet: Kriegsverbrechen. Der Angeklagte hat sich beim Prozessauftakt schuldig bekannt und sich bei der Bevölkerung entschuldigt.
SRF News: Inwiefern hat dieser Prozess für Sie eine besondere Bedeutung?
Markus Hilgert: Für diejenigen, die sich mit dem Schutz von Kulturgütern beschäftigen, ist der Prozess deswegen so wichtig, weil zum allerersten Mal auf der Basis des humanitären Völkerrechts am Internationalen Strafgerichtshof eine Person angeklagt wird, und dies ganz allein auf der Basis von Verbrechen gegen Kulturgüter. Das ist tatsächlich ein Präzedenzfall – gerade auch in dieser Zeit, in der wir beobachten, dass im Irak, in Syrien, in vielen anderen Ländern Kulturgüter absichtlich im Rahmen von kriegerischen Handlungen von zerstört werden. Wichtig ist, dass es eine rechtliche Handhabe gibt, um gegen solche Verletzungen des humanitären Völkerrechts dann auch effektiv vorzugehen.
Wie gross ist der Schaden, den der Angeklagte verursacht haben soll?
Wenn man solche Schäden beziffern will, ist es ganz schwer, Zahlen zu finden. Denn die Bauwerke, Monumente und Manuskripte, die in Timbuktu zerstört worden sind, haben eine unschätzbare Bedeutung für die Bevölkerung, die mit diesem Kulturgut lebt. Konkret handelt es sich um neun Grabmäler und Mausoleen von Personen, die als Heilige verehrt worden sind. Und es betrifft eine Moschee. Alles stammt aus der Blütezeit Timbuktus als Gelehrtenzentrum im 15. und 16. Jahrhundert. Dazu sind etwa 3000 arabische Manuskripte zerstört worden. Materiell lässt sich das kaum beziffern und geht wahrscheinlich in die Hunderten von Millionen. Entscheidend ist aber der soziale und ideelle Wert für die Bevölkerung. Deswegen ist es so wichtig, dagegen auf juristischer Ebene vorzugehen.
Wie gross ist die Gefahr, dass bei IS und al-Kaida durch die mediale Präsenz die Botschaft ankommt, dass es sich lohne, diese oder jene Stätte zu zerstören?
Das hängt von zwei Faktoren ab. Der eine ist, wie in den Medien darüber berichtet wird. Es ist so, dass die mediale Aufmerksamkeit – auch auf den Irak und Syrien – zwei Seiten hat. Sie hebt das Bewusstsein für die Problematik einerseits, schafft aber auf Öffentlichkeit, die möglicherweise vom «Islamischen Staat» ausgenutzt werden kann. Auf der anderen Seite hängt des im Wesentlichen davon ab, wie dieser Prozess geführt wird. Der Angeklagte hat sich schuldig bekannt. Das heisst, es wird darauf ankommen, welche Anklagepunkte genau abgearbeitet werden, wie das geschieht, und vor allem was für ein Strafmass dann festgelegt wird und ob die Strafe tatsächlich angetreten wird. All das ist sehr wichtig, um das Instrument des römischen Statuts, das dem ICC zugrunde liegt, in seiner Wirksamkeit zu demonstrieren. Also müssen wir wahrscheinlich abwarten, ob das, was jetzt so hoffnungsvoll beginnt, dann tatsächlich auch Grund zur Freude gibt.
Für Sie als Museumsdirektor ist es also ein guter Tag?
Für uns ist das in der Tat ein guter Tag. Wenn ich «uns» sage, dann meine ich all diejenigen, die sich für den Erhalt von Weltkulturerbe einsetzen. Es ist aber vor allem ein guter Tag für die Menschen in Mali, in Syrien und im Irak, die den Verlust ihrer Kulturgüter täglich miterleben müssen. Das ist etwas, was wir uns in Deutschland und in der Schweiz im Moment gar nicht vorstellen können. Aber für diese Menschen ist das, was heute geschieht, von ganz enormer Bedeutung. Darum freuen wir uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen in diesen Ländern.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.