Wir sind uns nur einmal begegnet. In einem Gefängnis in Nairobi. Es roch nach Urin und schlechtem Essen. Majid N. war ein Jahr zuvor in Kenias Hauptstadt verhaftet worden. Söldnerdienste bei der islamistischen Terrormiliz Al Shabaab haben die Kenianer dem Bieler Gymnasiasten vorgeworfen. Sein Anwalt in Genf dagegen schilderte am Telefon die Geschichte eines jungen Mannes, der auf der Suche nach dem grossen Abenteuer an die falschen Leute geraten sei.
Für das Bundesamt für Polizei wiederum stellte N. eine Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz dar. Gemäss nachrichtendienstlichen Quellen telefonierte der 19-jährige N. von Somalia aus mit radikalen Islamisten in halb Europa. Trotzdem gelang es der kenianischen Polizei nicht, genügend Beweise für N.s Söldnertätigkeit in Somalia zu finden. Kenia wollte ihn deshalb in die Schweiz ausliefern. Diese jedoch wollte ihn nicht mehr einreisen lassen. So blieb N. vorderhand in Nairobi im Gefängnis.
Die beschwerliche Suche nach Majid N.
Die Suche nach Majid N. in Nairobi war langwierig und teuer. Jeder Beamte wollte für seine Kooperation ein kleines Geschenk. Dafür wurde viel geboten. Im Zentralgefängnis wurde ersatzweise ein Diplomat vorgeführt, der letztes Jahr in Nairobi seinen Chef erschlagen hatte. Im Untersuchungsgefängnis wurde ein deutscher Kokain-Händler aus der Zelle gezerrt.
Die Begegnungen waren erschütternd, nur N. war unauffindbar. Die Suche endete am 19. März 2013 um zehn Uhr morgens in der Kililesua Police Station. Während der Postenchef eine Tafel Schweizer Schokolade öffnete, wurde N. in den Hof geführt. Der mutmassliche Gotteskrieger war ein schmächtiger Bursche, der sichtlich krank war.
Wir wissen, dass du ein Terrorist bist. Wir wissen alles. Ich werde deinen Willen brechen.
Er habe in den vergangenen Monaten viele Sorgen gehabt. Sein Gesundheitszustand sei sehr schlecht. «Die Malaria kommt und geht. Ein grosses Problem im Gefängnis ist das Wasser. Es ist nie sauber. Aber ich bin trotzdem immer geduldig.»
Ein Jahr in Gefängniszellen in Nairobi hatte trotz Geduld Spuren hinterlassen. Manchmal gebe es zwei Tage lang nichts zu essen. «Also muss ich meine Eltern in der Schweiz anrufen, dass sie jemanden organisieren, der mir Nahrung bringt.» Der Alltag im Gefängnis in Afrika sei ein Kampf ums Überleben.
Besuch vom Schweizer Nachrichtendienst
Mitgenommen hatten ihn offenbar auch die Verhöre durch die Polizei, den kenianischen Geheimdienst – und ganz schlecht in Erinnerung blieb ihm das Verhör mit einem Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes, der im Juni 2012 speziell aus Bern angereist war.
Der Mann sei schlecht gewesen. Er sei ins Gefängnis gekommen und habe gesagt: «Wir wissen, dass du ein Terrorist bist. Wir wissen alles. Du bist im Räderwerk der Polizei, der Medien und der Geheimdienste und ich werde deinen Willen brechen.»
Dabei sei er ja nur aufgebrochen, um das Elend der Welt mit eigenen Augen zu sehen. In der Schweiz habe man keine Ahnung vom Elend. Dort sei alles möglich, aber nichts heilig. Gelegentlich brauche es deshalb Kämpfer, welche alles wieder ins Lot bringen würden – aber eigentlich möchte er Philosophie studieren. Lehrer werden. N's Erzählung war sprunghaft und leicht verwirrend. Wer war er, wer wollte er sein: Lehrer oder Terrorist? Und was war genau in Somalia?
Selbst wenn ich Schlechtes getan habe, ich bleibe ein Schweizer.
Über seine Zeit in Somalia mochte er nicht öffentlich sprechen. Sein Anwalt hat ihm davon abgeraten. Aus nachvollziehbaren Gründen. In Bern arbeiteten vier Bundesstellen daran, dass der ehemalige Schüler des französischen Gymnasiums in Biel nie mehr in die Schweiz zurückkehren konnte.
Trotz seiner misslichen Lage, strahlte N. eine erstaunliche Heiterkeit aus. «Ich denke, ich werde bald in die Schweiz zurückkehren. Wissen Sie, ich bin auf dem Papier vielleicht kein Schweizer, aber fast mein ganzes Leben habe ich dort verbracht. So bin ich auch ein bisschen ein Kind der Schweiz. Selbst wenn ich schlechte Sachen gemacht habe, bleibe ich ein Schweizer. Ich habe keine andere Kultur. Ich kann deshalb nicht in ein anderes Land gehen.»
Letzte Station Islamischer Staat?
Mittlerweile hatte der Postenchef die Schweizer Schokolade aufgegessen und damit war auch die Besuchszeit zu Ende. Wir vereinbarten, dass wir uns am nächsten Tag wieder treffen würden. Ich solle ihm Früchte und Medikamente mitbringen, bat N.. Der Postenchef wünschte sich eine Schweizer Uhr. Am nächsten Morgen war N. aber nicht mehr da. Er sei an einen unbekannten Ort gebracht worden, hiess es. Wenige Tage später wurde N. nachts nach Jordanien – in das Heimatland seiner Eltern – ausgeschafft.
Zwei Jahre lang hörte man nichts mehr von ihm. Im März dieses Jahres meldete dann die «Sonntagszeitung», er sei im Kampf im Irak gestorben. Das war nachweislich falsch. Vor wenigen Tagen wurde es deshalb im gleichen Blatt noch einmal totgesagt. Diesmal in Syrien. Von Jordanien soll N. nach Syrien gereist sein und hat sich dort dem Islamischen Staat angeschlossen. Dort scheint nun – gemäss unabhängigen Quellen – N’s Reise zum Elend der Welt tatsächlich ein Ende gefunden zu haben.
Film-Sequenzen im Internet zeigen ihn in Syrien als Kämpfer des IS, wie auch als Prediger. Am Ende jedoch, berichten verschiedene Quellen, sollen die eigenen Kämpfer in ihm einen Verräter gesehen und ihn umgebracht haben. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt.