Auf dem Damm am Dorfende steht ein alter Mann in weissen Pluderhosen, ein Grosskind auf dem Arm. Der Damm besteht aus einem Erdwall, höher als ein Mensch. Davor ist das Wasser zu einem Teich zusammen gelaufen. Hier hat vor beinahe dreissig Jahren alles begonnen. Zu lange ist das her, als dass sich viele im Dorf daran erinnern würden. Deshalb soll jetzt der alte Hanuman vom Damm runterkommen und erzählen, wie das früher war.
«Damals floss das Regenwasser immer ab und wir hatten nie genug, um unsere Felder zu bestellen». erzählt der alte Mann. «Die Ernten waren mager. Deshalb gingen alle jungen Männer in die Städte. Wir baten die Regierung, uns einen Damm zu bauen, aber die sagte: Gebt uns ein paar Ziegen, Büffel und Geld, dann sehen wir, was wir machen können.»
Passiert ist nie etwas. Doch dann kam Rajendra Singh, ein junger Arzt für ayurvedische Medizin ins Dorf. Er hatte genug von seiner Regierungsstelle und dem Stadtleben. Er wollte den Ärmsten Medizin und Bildung bringen. Doch in Gopalpura wollte niemand Medizin, hier habe man Wasser gebraucht, erinnert sich Hanuman.
Rajendra Singh habe sich schlau gemacht, wie man das Wasser einfangen könnte, sagt er. «Aber als er vorschlug, dass wir hier einen Damm bauen, sagten alle: Der will unser Land stehlen! Und wer bitte, wird uns für die Arbeit bezahlen?!»
Wenige Kilometer vom Dorf Gopalpura entfernt liegt das Zentrum von Rajendra Singhs Nichtregierungs-Organisation Tarun Bharat Sang. Hier wird nach Mahatma Gandhis Philosophie gelebt: Das Essen ist vegetarisch, die Bewohner sind mehrheitlich Selbstversorger, putzen muss jeder selbst und im Büro von Rajendra Singh gleitet ein beruhigendes Om-Mantra durch die Luft.
1100 Wasserreservoirs gebaut
Singh, ein bärtiger Mid-Fünfziger, verkneift sich das Lachen, wenn er von seiner Anfangszeit in Gopalpura erzählt: «Zuerst erklärten mich die Dorfbewohner für verrückt und lachten mich aus. Doch als der Damm gebaut war und ihre Büffel auf einmal am neuen Teich trinken konnten, begannen sie mich Wassermann zu nennen und baten mich, weitere Dämme zu bauen.»
Seither haben Singh und seine Organisation mit Hilfe der lokalen Bevölkerung 1100 Wasserreservoirs in der Gegend gebaut, 21 alleine im Dorf Gopalpura. Das aufgestaute Regenwasser versickert in den Untergrund und speist das Grundwasser. Vielerorts stieg deshalb der Grundwasserspiegel und in Gopalpura sind die Ziehbrunnen trotz einer zweijährigen Dürre noch halb voll.
Lokale Lösungen für Klimaveränderung
Dass die alten Dämme nach Jahrzehnten noch gut erhalten sind, hat vor allem einen Grund: es sind Gemeinschaftsprojekte. Den Unterhalt leisten die Dorfbewohner, die die Projekte auch mitfinanzieren müssen. Singhs Nichtregierungsorganisation bezahlt einen weiteren Teil. Nur so, und nicht durch Megaprojekte, könne sich Indien nachhaltig dem Klimawandel anpassen, glaubt der charismatische Aktivist:
Die Klimaveränderung sei ein globales Problem, aber die Lösungen müssten lokal sein, erklärt er. «Was immer wir initiert haben: Die Leute mussten die Projekte mittragen. So wurden sie verantwortungsvoller, begannen, weniger Wasser zu verbrauchen, die Pflanzen, die sie säen, anzupassen und den Abfall nicht einfach wegzuwerfen. Wasser steht am Anfang des Lebens, aber es verändert alles im Leben.»
Auf den Feldern von Gopalpura arbeiten heute nicht mehr nur Alte und Kinder, auch viele Junge sind von den Baustellen aus den Städten zurück gekehrt. Zwischen den spätherbstlichen Senfpflanzen herrscht fröhliches Treiben. Die 20-jährige Krishna Mina hat das Dorf bislang kaum verlassen. Das habe auch mit der Wassersituation zu tun, sagt sie. «Weil wir mehr Wasser haben, ist die Ernte heute besser und wir haben mehr Geld. Das brauchen wir vor allem für die Ausbildung unserer Kinder.»
Indien ist ein Kontinent mit unterschiedlichen Klimazonen und Klimaproblemen. In Rajasthan haben sich die Bauern mit traditionellen Wasserreservoiren an die Klimaveränderungen an, anderswo im Land, braucht es andere Lösungen. Doch lokal verankert müssen sie überall sein.