SRF News: Die vollständige Befreiung Mossuls gestaltet sich schwierig. Hat der neue US-Präsident Donald Trump mit seiner Kritik Recht, die militärische Strategie im Irak sei falsch?
Guido Steinberg: Die Strategie der scheidenden Obama-Administration erscheint mir schon die richtige zu sein. Die Luftangriffe haben den IS im Irak stark geschwächt und ich halte es auch für richtig, bis auf wenige Spezialkräfte keine Bodentruppen nach Mossul zu entsenden – denn die Präsenz amerikanischer Bodentruppen würde der Terrormiliz die Rekrutierung erleichtern.
Donald Trump scheint das anders zu sehen. Er hat Verteidigungsminister James Mattis und seine Generäle angewiesen, bis Ende Febraur einen neuen Plan zum Kampf gegen den IS vorzulegen. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese neue Strategie US-Bodentruppen im Irak beinhaltet?
Es hat sich schon im Jemen gezeigt, dass die Trump-Administration bereit ist, im Kampf gegen al-Qaida und den IS höhere Risiken einzugehen und dass sie auch mehr Opfer in Kauf nehmen will als ihre Vorgängerin. Es bleibt nur zu hoffen, dass die USA im Kampf gegen die Terrormiliz Vernunft walten lassen – und dazu gehört, mit lokalen Verbündeten wie der irakischen Regierung und den irakischen Kurden zusammenzuarbeiten und keine grösseren Truppenkontingente zu entsenden.
Die Präsenz amerikanischer Bodentruppen würde dem IS die Rekrutierung erleichtern.
Wie sehr hat der von Donald Trump verhängte Einreisestopp gegen sieben muslimische Staaten – darunter gegen Bürger aus dem Irak – dieser Allianz geschadet?
Die irakische Regierung ist zu sehr auf amerikanische Unterstützung angewiesen, als dass sie auf das – vorerst ohnehin gestoppte – Einreiseverbot für ihre Staatsbürger reagieren könnte. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass diejenigen Teile der Regierung, die wie der irakische Ministerpräsident Abadi auf eine gewisse Distanz zu Iran setzen, durch solche Massnahmen geschwächt werden. Teheran ist in den letzten Jahren im Irak viel wichtiger geworden als die USA. Und das Einreiseverbot begünstigt diese Entwicklung.
Von Donald Trump sind in der Tat agressivere Töne in Richtung Iran zu hören. Was bedeutet das im Kampf gegen den IS?
Es kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass die faktische Koalition aus irakischer Regierung, iranisch kontrollierten Milizen und amerikanischer Luftwaffe im Irak zerbricht. Das würde den Kampf gegen den IS stark beeinträchtigen. Ob dies eintrifft, ist allerdings noch nicht abzusehen.
Es gibt Berichte, wonach Iran einen Landkorridor durch den Irak und Syrien bis ans Mittelmeer für sich selbst sichern will. Welche langfristigen Ziele verfolgt der Iran damit?
Von einem solchen Korridor ist in den letzten Monaten häufig zu lesen und es ist durchaus möglich, dass einige iranische, irakische und libanesische Strategen über eine solchen Korridor nachdenken. Im Libanon, in Syrien und im Irak kontrollieren die iranischen Revolutionsgarden zahlreiche Milizen, die sie als Instrumente nutzen können. Gegen ein solches Konzept spricht hingegen die Schwäche des syrischen Regimes, das aufgrund von Personalmangel ein sehr schwacher Verbündeter ist. Ein anhaltender syrischer Bürgerkrieg ist deshalb wahrscheinlicher als eine territoriale Neuordnung zugunsten Irans.
Welche Rückzugebiete hat der IS noch, wenn Mossul fällt?
Die Organisation hat vorgesorgt, indem sie Verbündete in Nordafrika, im Jemen, Nigeria, dem Kaukasus und Südasien gewonnen hat – auch seine Ideologie wird fortbestehen und seine Anhänger werden jede Gelegenheit nutzen, wieder Territorium zu besetzen.
So schwach wie viele Staaten in der arabischen Welt sind, könnte dies an einigen Orten auch gelingen. Zum Rückzugsgebiet der Terrormiliz gehört ohne Zweifel auch Syrien. Wenn der IS Mossul verliert, bleibt nur noch der Rückzug nach Syrien, und das würde das Ende des IS in seiner bisherigen Gestalt bedeuten – denn in Syrien ist der IS weitaus weniger tief verankert als im Irak.
Damit würde wohl die Wahrscheinlichkeit, dass das Assad-Regime die Kontrolle des Landes – allen voran im Westen – zurückgewinnen kann, sinken.
In der Tat wird es Assad nicht gelingen, die Kontrolle über ganz Syrien zurückzugewinnen. Sein Regime ist zwar mit russischer und iranischer Hilfe deutlich erstarkt, aber es fehlt ihm an Soldaten. Der IS und andere Aufständische werden in den nächsten Jahren versuchen, mit Anschlägen zu verhindern, dass Assad seine Position weiter konsolidieren kann. Deshalb ist ein langer Abnutzungskrieg das wahrscheinlichste Szenario für Syrien.
Das Gespräch führte Vasilije Mustur