Erstmals während seiner Amtszeit reist der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zu einem zweitägigen Besuch ins Nachbarland Türkei. Zuerst ist ein Treffen mit Regierungschef Ahmet Davutoglu in Istanbul geplant. Die beiden wollen am Abend das Fussballspiel Türkei-Griechenland verfolgen.
Danach reist Tsipras nach Ankara weiter. Dort trifft er den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und Davutoglu zu Gesprächen. Zuoberst auf der Agenda stehen die Flüchtlingskrise und die Anschläge von Paris.
Treffen auf griechischen Wunsch hin vereinbart
Tsipras hat es eilig: Er ist der erste Staatschef, der die Türkei seit den Wahlen besucht. Das türkische Kabinett sei noch nicht einmal zusammengetreten, sagt SRF-Mitarbeiterin Corinna Jessen in Athen. «Tsipras verlangt, dass die Türkei die Schlepperbanden effektiver bekämpft.» Täglich würden Menschen mit Bussen an türkische Strände gefahren, von wo aus sie mit kleinen Schlauchbooten ablegen.
«Tsipras ist der Meinung, dass dies kaum möglich wäre, wenn die türkischen Behörden den Willen hätten, das zu verhindern.» Der griechische Ministerpräsident möchte zudem, dass Registrierungszentren für Flüchtlinge, sogenannte Hotspots, nicht nur auf griechischen Inseln, sondern auch auf türkischem Festland eröffnet werden.
So könnten jene Flüchtlinge, die Anspruch auf Asyl haben, direkt und sicher nach Europa reisen – ohne die gefährliche Überfahrt wagen zu müssen, glaubt Tsipras. Dazu werde die Türkei jedoch kaum Hand bieten, ist Thomas Seibert, SRF-Mitarbeiter in Istanbul, überzeugt.
Das Land habe selbst eine grosse Anzahl Flüchtlinge aufgenommen: Zwei Millionen Syrer und etwa eine halbe Million Iraker. «Die Türken befürchten, dass die Einrichtung von Hotspots auf ihrem Territorium zu einer Sogwirkung führt, die noch mehr Flüchtlinge anlockt», sagt Seibert. Deshalb sei die Bereitschaft, auf Tsipras' Vorschlag einzugehen, klein.
Angst vor Schliessung der Grenzen in der EU
Tsipras prescht mit seinem Besuch vor – ohne die Rückendeckung der EU. Das habe einen Grund, so die Journalistin Jessen: «Er befürchtet, dass gerade jetzt, nach den Anschlägen von Paris, die europäischen Grenzen zugemacht werden.» Für Athen würde das bedeuten, dass es zu einem Rückstau käme. «Flüchtlinge könnten nicht mehr wie bisher durch Griechenland als Transitland reisen, sondern würden gewissermassen in der Falle sitzen.» Das wolle Tsipras verhindern.
«Zum anderen versucht er, in Ankara einige Punkte abzuklären, bevor die EU mit der Türkei Entscheidungen trifft, die griechischen Interessen schaden könnten», erklärt Jessen. Dazu gehörten vor allem gemeinsame Patrouillen im ägäischen Meer.
Athen weigere sich, solche durchzuführen. Denn der Verlauf der Seegrenzen ist umstritten. «Griechenland ruft die Türkei seit Jahren dazu auf, die Frage vor dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag klären zu lassen», so Jessen. Dies wiederum lehne Ankara aber strikte ab.