Frauen und Männer in Tunesien sollen gleichberechtigt sein. Dieser für die arabische Welt aussergewöhnliche Grundsatz wird in der neuen tunesischen Verfassung verankert. Über diese stimmt die verfassungsgebende Versammlung derzeit ab.
«Alle männlichen und weiblichen Staatsbürger haben dieselben Rechte und Pflichten. Vor dem Gesetz sind sie gleich, ohne Benachteiligung», heisst es in Artikel 20 des Verfassungsentwurfs. Das Votum über Artikel 45, der ausdrücklich Frauenrechte und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern garantiert, soll später erfolgen.
Auch islamistische Frauen dafür
Tunesien gewährt Frauen seit 1959 mehr Rechte als andere arabische Staaten, diskriminiert sie aber in manchen Lebensbereichen nach wie vor. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und Human Rights Watch hatten vorab kritisiert, dass in dem verabschiedeten Artikel nur von «Staatsbürgern» die Rede sei. Damit gelte das Gleichheitsprinzip nicht für Ausländer.
Die Reaktionen auf den Gleichberechtigungs-Artikel sind seiner Beobachtung zufolge «weitherum sehr positiv», sagt SRF-Redaktor Daniel Voll. Er ist zurzeit in Tunesien. Selbst islamistische Frauen hätten gesagt, dass sie diese Gleichstellung haben wollten. «Bisher war sie nur im Gesetze verankert. Nun ist sie in Zukunft sogar auf Verfassungsebene gesichert. Das ist ein grosser Fortschritt.»
Nach neuer Verfassung Neuwahlen
Die neue Verfassung soll drei Jahre nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali verabschiedet werden. Bis zum dritten Jahrestag der Entmachtung Ben Alis am 14. Januar sollen die Delegierten über alle 146 Verfassungsartikel und etwa 250 eingereichte Änderungsanträge abgestimmt haben.
Damit die Verfassung in Kraft treten kann, müssen mindestens zwei Drittel der 217 Abgeordneten diese annehmen, ansonsten entscheidet das Volk darüber in einem Referendum. Der Text ist das Ergebnis von mehr als zwei Jahren andauernden Debatten zwischen den regierenden Islamisten und der Opposition.
Der Entwurf war im Sommer nach langen Verzögerungen fertiggestellt worden. Viele Abgeordnete waren jedoch unzufrieden mit dem Ergebnis.
Sobald die Verfassung verabschiedet, ein Wahlgesetz erlassen und eine Wahlkommission ernannt worden sind, will die Übergangsregierung von Premierminister Ali Larayedh die Macht an den bisherigen Industrieminister Mehdi Jomaâ übergeben. Der parteilose Politiker soll dann Neuwahlen vorbereiten.