Der Eindruck einer elektrisierten Nation, der Politisierung einer ganzen Gesellschaft, war kein Trugbild. Im letzten Monat haben sich die Mitgliederzahlen der schottischen Nationalistenpartei (SNP) und der schottischen Grünen mehr als verdreifacht. Beide hatten für die Unabhängigkeit Schottlands gekämpft.
Die regierende SNP ist nun klar die drittgrösste britische Partei, obwohl sie nur in Schottland antritt. Kaffeesatzleser argwöhnen bereits, dass das unweigerlich Konsequenzen haben werde, wenn das ganze Vereinigte Königreich im nächsten Mai ein neues Unterhaus wählt. Die Labourpartei werde ihre dominante Stellung in Schottland einbüssen; die Chancen für ihre absolute Mehrheit schrumpften.
Lösung für ur-englische Frage gefordert
Doch vorerst dreht sich alles um die konkreten Konsequenzen des Referendums. Denn die drei britischen Parteien hatten kurz vor dem Urnengang die Fragestellung geändert: Ein Nein würde nicht mehr den bisherigen Zustand zementieren, sondern zahlreiche neue Kompetenzen von London nach Edinburgh verlagern.
Als das erwünschte Resultat vorlag, fügte der britische Premierminister David Cameron diesem Köder jedoch eine Bedingung hinzu. Gleichzeitig mit der Übertragung neuer Rechte müsse auch endlich die englische Frage gelöst werden. Denn bisher stimmen schottische Unterhausabgeordnete auch über rein englische Gesetzesvorhaben mit ab, während das umgekehrt nicht der Fall ist.
Wenn es nach dem konservativen Cameron ginge, sollen die Schotten in Westminster in den Ausstand treten, wenn es sie nicht direkt betrifft. Im Klartext heisst das allerdings, dass eine künftige Labour-Regierung ihre englischen Pläne nicht umsetzen könnte, weil sie vermutlich keine englische Mehrheit hätte.
Labour anerkennt zwar den Missstand, will aber eine verfassungsgebende Versammlung im nächsten Jahr – nach den Unterhauswahlen. Die naheliegendste Lösung, ein separates englisches Parlament und ein Bundesparlament in Westminster, scheitert daran, dass die Engländer diese à tout prix nicht wollen.
Labour warnt vor Ende des Königreichs
Cameron hat zwar inzwischen sein ursprüngliches «Junktim» – dass das alles gleichzeitig geschehen müsse – zurückgezogen. Aber es bleibt umstritten, welche Kompetenzen neu an Schottland übertragen werden sollten. Die Konservativen und die Liberalen versprechen volle Steuerautonomie, während Labour nur Stückwerk anbietet. Dies mit der Begründung, die komplette fiskalische Autonomie und die Herabstufung schottischer Abgeordneter zu Politikern zweiter Klasse würde genau das Ende des Königreichs bringen, das man vor einem Monat verhindert habe.
Ende November soll eine Expertengruppe Vorschläge unterbreiten. Für die schottischen Nationalisten, bald unter der neuen Führung von Nicola Sturgeon, ist das alles ein gefundenes Fressen. Sie hält die Unabhängigkeit ohnehin für unvermeidlich und droht den Londoner Parteien mit einem neuerlichen Urnengang, falls das Angebot unter ihren Erwartungen liege.
Die SNP hält sich schon jetzt parlamentarischen Abstimmungen über englische Gesetze fern und verweigert den Einsitz ins Oberhaus.