SRF News: Was dachten Sie, als Sie von Viktor Orbans Plan hörten?
Norbert Mappes-Niediek: Dass das konsequent ist. Der ungarische Ministerpräsident hat schon letzte Woche gesagt, man wolle die Grenzen schliessen. Unklar blieb, was er damit meinte. Ungarn betreibt seit Beginn der Flüchtlingswelle eine konsequente Abschreckungspolitik. Das Land hat keine Vorschläge, wie man mit dem Flüchtlingsproblem umgehen soll. Es möchte ganz einfach gar keine Flüchtlinge. Eine so radikale Massnahme passt gut zu dieser Haltung.
Wie problematisch ist diese Haltung, auch angesichts der ungarischen Geschichte?
In Ungarn herrscht eine aggressiv-fremdenfeindliche Stimmung. Umso mehr, als die Regierung Fidesz von rechts unter Druck geraten ist. Orban hat einen regierungsamtlichen Fragebogen an die Bürger geschickt. Mit so suggestiven Fragen wie: Sollte man das zur Verfügung stehende Geld lieber für Flüchtlinge ausgeben als für Ungarn? Hier wird Stimmung gemacht – und das hat seine Vorbilder in der unglückseligen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ungarn ist ein Land, das seine Geschichte niemals vollständig bewältigt hat.
Sie sprechen die Tatsache an, dass Ungarn damals mit den Nazis kollaborierte. Wie kommt die Ankündigung, einen Grenzzaun bauen zu wollen, bei der Bevölkerung an?
Sicher positiv. Die Stimmung in Ungarn ist aufgeheizt gegen Flüchtlinge. Der Umgang mit ihnen ist auch im Alltagsleben ausgesprochen schäbig. Man muss sich nicht wundern, wenn es jetzt Beifall gibt.
In Ungarn herrscht eine aggressiv fremdenfeindliche Stimmung.
Ungarn zeigt offensichtlich wenig Solidarität mit den Migranten. Darf die EU dieses Verhalten eigentlich tolerieren?
Die EU ist ja auch nicht viel besser. Natürlich ist die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, in manchen europäischen Ländern deutlich stärker; etwa in Deutschland, Schweden oder Österreich. In diesen Ländern ist die Stimmung doch deutlich positiver – aber wirkliche Lösungen bietet die EU trotzdem nicht. Damit spielt Orban natürlich. Es gibt nach wie vor das berühmte Dublin-Abkommen, das vor allem diejenigen Länder mit dem Flüchtlingsproblem konfrontiert, die an Nicht-EU-Länder grenzen. Das gilt in besonderem Masse für Ungarn mit seiner Landgrenze zu Serbien, aber natürlich auch für die Mittelmeer-Länder, vor allem für Italien und Griechenland. Wenn das Abkommen tatsächlich beachtet würde – was nicht der Fall ist – hätten diese Grenzländer den grossen Teil des Flüchtlingsproblems allein zu tragen.
Serbiens Regierungschef reagiert höchst irritiert auf die Ankündigung eines Zaunbaus. Wie geht das Land eigentlich selber mit den Migranten an seinen Grenzen um?
Serbien tut eigentlich überhaupt nichts. Es lässt die Flüchtlinge passieren, in der sicheren Erwartung, dass sie das Land wieder verlassen. Einige Leute verdienen damit Geld, dass sie Leute über die Grenze transportieren. Serbien ist aber auch nicht Teil des Dublin-Systems und ist auch kein EU-Mitglied. Es hat nicht die Verpflichtung, Flüchtlinge zu registrieren, damit sie aus anderen EU-Ländern wieder dorthin zurückgeschickt werden können.
Serbien argumentiert mit einem gewissen Recht, dass fast alle der Flüchtlinge, die durch Serbien ziehen, nicht nur in ein EU-Land wollen, sondern auch aus einem EU-Land kommen. Denn sie kommen alle über Griechenland oder Bulgarien. Hier stellt Serbien die nicht unberechtigte Frage, warum es diese Flüchtlinge aufnehmen sollte – wenn die EU-Länder es selber nicht machen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.