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Dürre in Somalia Unter der unerbittlichen Hitze der Sonne

Tiere verenden qualvoll, Abertausende Menschen fliehen: In Ostafrika bieten sich, wieder einmal, erschütternde Bilder.

Patrik Wülser

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Porträt Patrik Wüsler.

Patrik Wülser ist Leiter der Auslandredaktion von Radio SRF. Von 2011 bis 2017 war er Afrikakorrespondent für SRF und lebte mit seiner Familie in Nairobi (Kenia).

Wieder wird das Horn von Afrika von einer schweren Dürre heimgesucht. In Somalia und Kenia sterben Kühe und Ziegen. Hunderttausende Menschen sind auf der Suche nach Wasser und Weideflächen für ihr Vieh.

Viele Familien sind auf der Flucht. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind allein in Somalia gegen 400'000 Kinder akut mangelernährt, viele schweben in Lebensgefahr. Gegen sieben Millionen Menschen seien in den kommenden Monaten auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ein Besuch im somalischen Grenzgebiet zeigt, wie ernst die Lage ist.

Der Tod frisst sich durch die Steppe

Es riecht nach Verwesung. Myriaden von Fliegen schwirren durch die Luft, während ein Marabu, ein aas-fressender Vogel, die weinrote Leber aus einer Kuh reisst. Die Halbwüste gleicht einem Tierfriedhof. Dutzende von abgemagerten Kühen und Ziegen liegen in der kargen Landschaft herum.

Tiere verenden in der Steppe
Legende: Im November hätte Regen kommen sollen. Er kam nicht. Die Tiere sterben – und damit die Lebensversicherung der Menschen. Reuters

Viele sind tot, andere sind mit aufgerissenen Augen am Verenden. Im Schatten der Schirmakazien sitzen Nomaden und betrachten mit starrem Blick das grosse Sterben ihrer Herden.

Habima Abdullai ist ebenso erschüttert wie zornig:

Wie katastrophal die Situation hier ist, können Sie selber sehen. Wir brauchen dringend Hilfe, und solange der Rest der Welt uns nicht beisteht, werden sich die Menschen hier als Weltbürger zweiter Klasse fühlen.

Sie seien Opfer des weltweiten Klimawandels, sagt Abdullai: «Und was wir hier erleben, ist schlimmer als alles, was wir bisher gesehen haben.»

Das Warten auf den Regen

Früher kamen die Regenzeiten in Afrika verlässlich wie ein Uhrwerk. Mittlerweile ist das Klima auf dem Kontinent völlig unberechenbar geworden. Allein im Norden Kenias warten seit November über zwei Millionen Menschen auf Regen. Eine davon ist Amira.

Die 54-jährige Somali sitzt in ihrer Hütte am Rand von Mandera. Sie ist Mutter von fünf Kindern. Aus dem nahen Städtchen ruft der Muezzin und auf einem Feldbett liegt ihr 96-jähriger Vater. Seit drei Tagen kann er nicht mehr aufstehen.

Seit November warten wir auf Regen. Die Tiere sterben und alles liegt nun in Allahs Händen. Uns bleibt nur zu hoffen und zu warten, dass uns der Himmel bald Regen bringt.

Die Tiere geben schon lange keine Milch mehr, sagt die Frau. Für die Kinder müssten sie Milchpulver kaufen. Wer Geld habe, könne sich auch Nahrung kaufen. «Doch die Lebensmittelpreise steigen. Gras, um die Tiere zu füttern, gibt es schon lange nicht mehr», sagt sie.

Hunger, Hitze, Terror

Mandera liegt im nordöstlichsten Zipfel Kenias an der somalisch-äthiopischen Grenze. Selbst ohne Dürre ist das Leben in Mandera bedrohlich. Regelmässig ist die Grenzstadt Ziel von Anschlägen der islamistischen Terrormiliz Al Shabaab. Vor zwei Wochen kamen acht Menschen ums Leben.

Eine Vertriebene trägt ihren Sohn.
Legende: Am Horn von Afrika leiden Millionen Menschen unter der Dürre. Das Leid ist allgegenwärtig – und schwer zu ertragen. Reuters

In der Hauptstrasse sind an den Fassaden noch die Einschusslöcher zu sehen. Hussein Ibrahim, der Lokaladministrator der Regierung hat jedoch im Moment andere Sorgen. Das Vieh – die Nomaden sprechen treffender von «livelihood» (auf Deutsch: die Lebensgrundlage der Nomaden) – stirbt unter der unerbittlichen Hitze der Sonne dahin. Er sagt:

Wir sind am Punkt angelangt, an dem unsere Tiere sterben. Als nächstes werden Menschen sterben und einige sind bereits tot.

Das sei keine Übertreibung, es sei die Realität, so Ibrahim: «Die Regierung hat einige Ladungen mit Nahrungsmitteln geschickt. Wir wissen das zu schätzen. Aber mit einigen Paketen Reis aus Nairobi können wir das Problem nicht lösen. Es ist schlicht zu wenig, um all die hungrigen Leute zu sättigen. Wenn es so weitergeht, werden viele Menschen sterben.»

Überlebenskampf im Niemandsland

Alle warten auf Regen. Aber Wasser allein sei nicht das Problem, sagt der Lokalpolitiker Isaac Dahir: «Wasser kann man transportieren. Hilfswerke oder die Regierung können mit einem Zisternenwagen Wasser bringen.» Das alles sei aufwendig und teuer, sagt Dahir. Aber es sei möglich. «Das grosse Problem ist das Gras, das Futter für unsere Tiere. Hier gibt es nur noch trockenen Staub; die Tiere verhungern.»

Viele sind am Verzweifeln und haben die Gegend bereits verlassen. Die Dürre wird uns um Jahrzehnte zurückwerfen und wir können nur hoffen, dass uns Gott bald Regen schickt.
Ein verdurstetes Schaf liegt im Wüstensand.
Legende: Ein Vorbote von dem, was da noch kommen mag? In Ostafrika droht eine humanitäre Katastrophe gewaltigen Ausmasses. Reuters

Vor wenigen Tagen hat die kenianische Regierung den nationalen Notstand ausgerufen. Aber wirklich Zeit, sich darum zu kümmern, hat die Regierung nicht. Sie steckt mitten im Wahlkampf.

Einzelne Nomadenstämme haben deshalb zur Selbsthilfe gegriffen. Sie haben ihr Vieh in Wildpärke getrieben oder auf die grossen Farmen der Weissen. Der Überlebenskampf forderte dabei bereits die ersten Opfer. Häuser wurden angezündet. Elefanten getötet. Ein Polizist erschossen.

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