Die Wogen gehen hoch. Die irakische Armee überlässt die irakische Grenzstadt Ramadi trotz grosser Überzahl der Terror-Miliz IS. US-Verteidigungsminister Ashton Carter greift danach zum Zweihänder.
Die Soldaten hätten «einfach keinen Willen gezeigt zu kämpfen», macht er seinem Ärger in einem CNN-Interview Luft. Kaum ist die Empörung auf irakischer Seite entfacht, kühlt US-Vizepräsident Joe Biden die Gemüter auf dem diplomatischen Parkett. Vollmundig rühmt er die gleichen Soldaten ihrer «enormen Opfer und ihrer Tapferkeit».
Dies ist kein versehentlicher Affront gewesen.
Laut dem Sicherheits- und Nahost-Experten Roland Popp muss man diese vordergründig wankelmütige Reaktion aus Washington als diplomatischen Prozess verstehen. Der Forscher am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich liest die Äusserungen von Carter und Biden als Teil eines Versuchs, öffentlichen Druck auf den Irak auszuüben. «Dies ist kein versehentlicher Affront gewesen», sagt Popp im Interview mit SRF News.
Seit dem Abzug der amerikanischen Bodentruppen aus dem Irak bestehen zwischen der irakischen Führung und dem Ex-Besatzer Unstimmigkeiten. Zum einen sind sie operativer Natur. Immer wieder fällt den IS-Schergen hochwertiges Militärmaterial der Amerikaner in die Hände. So war es in Mosul und später in Tikrit.
Zur Hauptsache betreffen die Misstöne aber die dürftigen Bemühungen der irakischen Regierung, den Bruderzwist von Schiiten und Sunniten im Land beizulegen und die umfassende Schlechterstellung der sunnitischen Bevölkerung zu beenden. Nur dann wird es nach Ansicht der US-Strategen möglich sein, die Streitkräfte mit dem zivilgesellschaftlichen Vertrauensvorrat auszurüsten, den es braucht, um eine solche Schlacht für sich zu entscheiden.
Kritik ist nicht ganz unbegründet
Geht es nach US-Aussenminister John Kerry, ist die Schlacht noch gar nicht entschieden. Auch er spielt den Part des Beschwichtigers im US-diplomatischen Massnahmenvollzug. Solche Angriffe seien in solchen Konflikten normal, liess er verlauten. Er sprach dem Irak gleichermassen Vertrauen wie weitere Unterstützung zu und gab sich zuversichtlich, dass Ramadi demnächst zurückerobert werde. Diesen Optimismus kann Roland Popp nicht teilen.
«Auch im Irak war man entsetzt, wie Ramadi verteidigt wurde», sagt der ETH-Forscher. Dass es mit dem Nachschub der Anti-IS-Kämpfer Schwierigkeiten gab, ist nicht nur den logistischen Problemen der Armee geschuldet. Seit Monaten fehlt der Sold, die Moral der Truppe beflügelt das nicht. Zudem ist die Armee nicht passend ausgerüstet für den Kampf gegen die Fanatiker.
«Die fahren mit ihren Truck-Bomben in einen Ort ein und sprengen Kontrollpunkt um Kontrollpunkt weg», weiss Popp. Gegen diese Amok-Strategie der Selbstmordattentäter braucht es spezielle Ausrüstung und eine entsprechende Ausbildung. Weil das alles fehlt, fehlt der Bevölkerung weitgehend das Vertrauen in die Armee.
Obamas Irak-Strategie desavouieren
Bei aller berechtigten Kritik gegen die irakische Kampfkraft haftet der Polterei des US-Verteidigungsministers auch innenpolitisches Kalkül an, ist Popp überzeugt. Viele Republikaner sähen gerne wieder amerikanische Kampfstiefel im irakischen Wüstensand. Sie torpedieren Obamas Zurückhaltung im Irak bei jeder halbwegs geeigneten Gelegenheit.
Und in der Tat: Auch Obamas Luftschläge gegen den IS kommen über eine Propaganda-Wirkung kaum hinaus. «Die Truppen des IS sind grösstenteils Infanterie», erklärt der Sicherheits-Experte Popp das Phänomen. «Sie haben nur wenige schwere Waffen und bieten somit wenig Ziele.»
Die Schuld am Versagen der Anti-IS-Kräfte im Irak hat sicherlich nichts mit Feigheit zu tun. Dessen sind sich auch die USA bewusst. Aber im Irak bewegt man vielleicht etwas, wenn man das nur schon öffentlich behauptet.