Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat am Wochenende drei Manuskripte von US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton veröffentlicht. Es handelt sich um bezahlte Reden, die Clinton im Jahr 2013 bei der Investmentbank Goldman Sachs gehalten und dafür viel Geld kassiert hat.
Dahinter steckt Wikileaks-Gründer Julian Assange, der seit mehr als vier Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt. Er möchte eine Präsidentin Clinton offenbar um jeden Preis verhindern. Wieso das so ist, weiss der USA-Korrespondent des «Tages-Anzeigers», Walter Niederberger.
SRF News: Worum geht es Assange mit der Veröffentlichung der E-Mails, die Clinton betreffen?
Walter Niederberger: Julian Assange veröffentlicht schon seit dem Frühjahr immer wieder Dokumente, die gegen Hillary Clinton gerichtet sind. Seit Jahren steht er in einer persönlichen Fehde mit ihr. Assange vermutet, dass sie ihn abhören lässt und über sein Leben in der ecuadorianischen Botschaft in London ständig informiert wird. Nicht ganz zu Unrecht glaubt Assange, dass Clinton – sollte sie US-Präsidentin werden – versuchen würde, ihn via Schweden in die USA zu holen, damit er dort wegen Spionage vor Gericht gestellt werden könnte.
Die demokratische Partei beschuldigt Russland, für die Hackerangriffe verantwortlich zu sein. Wenn das stimmt, würde sich Assange mit der Veröffentlichung des Material indirekt zum Agenten Russlands machen. Ist das Assange völlig egal?
Assange geht es um mehr als die Hacks. Es geht ihm um die Transparenz und die Frage, inwieweit die USA «eine böse Macht» sind. Es ist das erklärte Ziel von Wikileaks, die dunklen Machenschaften, Verbindungen und Netzwerke um die amerikanische Regierung und ihre Eingriffe rund um die Welt bekannt zu machen. Wenn das nun über die Kanäle des russischen Geheimdienstes gehen soll, ist das für Assange einfach ein Mittel zum Zweck. Zudem hat Assange durchaus Verbindungen zu Russland: Er arbeitete früher für den englischen Dienst des russischen Propagandasenders «Russia Today» und hatte dort eine TV-Show.
Assange hat durchaus Verbindungen zu Russland.
Eine gewisse Nähe zur Wallstreet ist Clinton angesichts ihrer hochbezahlten Reden vor Wallstreet-Bankern kaum abzusprechen. Wird das von den Republikanern im Wahlkampf nicht ausgeschlachtet?
Es ist seit langem ein Thema, dass Clinton sozusagen in den Diensten der Wallstreet steht. Man weiss, dass sie bei Goldman Sachs, der UBS und anderen Banken Reden gehalten und damit mehrere Millionen Dollar verdient hat. Die Nähe der Clintons zu Wallstreet ist kein Geheimnis: Bill Clinton war in den 1990er-Jahren jener US-Präsident, der Wallstreet dereguliert hat. Das darf man nicht vergessen. Neu ist allein, wie gut sich Hillary Clinton im Wallstreet-Umfeld bewegt und wie wenig kritisch sie sich in privaten Gesprächen mit den Bankern äussert – ganz im Unterschied zu dem, was sie im Wahlkampf sagt.
Assange hat gegenüber dem «Spiegel» gesagt, er würde auch E-Mails der Republikaner veröffentlichen, wenn er solche hätte. Glauben Sie ihm das?
Ich bezweifle das nicht grundsätzlich. Allerdings: Soweit bekannt, wurden nur E-Mails auf demokratischer Seite gehackt. Es ist also offensichtlich eine politische Kampagne im Gang. Von wie hoch oben aus in Russland das Ganze dirigiert wird, wissen wir zwar nicht genau. Doch klar ist, dass Assange dabei mitmacht und sich damit als politischen Mitspieler sieht. Neben der Angst vor einer Auslieferung befürchtet Assange, dass eine Präsidentin Clinton eine viel aggressivere Aussen- und Sicherheitspolitik betreiben würde als Obama. Genau das wirft Assange dem «Evil Empire» USA auch immer wieder vor.
Das Gespräch führte Roger Aebli.