Die Begrüssung ist betont freundschaftlich. US-Vizepräsident Joe Biden präsentiert sich bei seinem ersten Besuch – seit dem Putschversuch im Juli – als guter Verbündeter der Türkei.
Zankapfel Manbidsch
An der gemeinsamen Medienkonferenz versuchte Biden, Differenzen in der Kurden-Frage herunterzuspielen: «Wir haben es unseren kurdischen Verbündeten deutlich gesagt: Sie dürfen nicht zu weit nach Westen vorrücken. Der Fluss Euphrat ist die Grenze. Falls sie weiter vorrücken, werden sie die Unterstützung der USA verlieren. Punkt.»
Konkret geht es um die Stadt Manbidsch. Die kurdischen Kämpfer hatten die von der Extremistenmiliz Islamischer Staat gehaltene Stadt in der syrischen Grenzregion im August erobert.
Die kurdischen Kämpfer haben damit Sorgen in der Türkei befeuert, mit der Ausweitung der Gebiete unter kurdischer Kontrolle in Nordsyrien würden auch Autonomie-Bestrebungen der Kurden in der Türkei befeuert. In den türkischen Kurden-Regionen liefern sich die türkische Armee und Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartie PKK seit Monaten blutige Kämpfe.
Gülen-Auslieferung: USA helfen bei Vorarbeiten
Die syrisch-kurdische Miliz YPG gehört eigentlich zu den Verbündeten der USA im Kampf gegen den IS. Die US-geführte Koalition unterstützte bislang deren Kämpfer mit Luftangriffen. Die Türkei fordert bereits seit Tagen den Abzug der Kurden aus Manbidsch und hat nach Angaben aus türkischen Sicherheitskreisen die Region mit Artillerie beschossen.
Auch der türkische Antrag auf Auslieferung des in den USA im Exil lebenden Geistlichen Fethulla Gülen war Gegenstand des Treffens. Biden hat der Türkei bei den formalen Vorarbeiten zu einer möglichen Auslieferung zugesichert.
Biden betonte nach dem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim: «Wir haben keinerlei Interesse daran, irgendwen zu beschützen, der einem Verbündeten Schaden zugefügt hat, aber wir müssen die üblichen rechtlichen Voraussetzungen einhalten.»
Nato-Partner mit gegensätzlichen Interessen
Für Ruth Bossart, SRF-Korrespondentin in Istanbul, ist derzeit die grösste Sorge der Türkei, dass die vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebiete von kurdischen Milizen übernommen werden könnten. «Damit könnte ein weiterer Kurdenstaat vor der Haustür der Türkei entsteht. Die türkischen Behörden wurden vor allem aufgeschreckt durch die Kämpfe rund um Manbidsch in den vergangenen Tagen, wo der IS von Kurden vertrieben worden ist.»
Die Situation im Norden von Syrien zeige, dass die beiden Länder aufeinander angewiesen sind, auch wenn die Partnerschaft stark belastet ist, sagt Bossart. «Die USA sorgen sich um die Unterhöhlung der Demokratie in der Türkei, und die Türkei ihrerseits fordert ultimativ die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen, der nach türkischer Regierungsansicht den Militärputsch angezettelt haben soll.
Doch die Türkei hat nicht viel in der Hand, um die USA unter Druck zu setzen. Vielleicht am ehesten noch im militärischen Bereich, wo sie den USA verbieten kann, türkische Militäreinrichtungen wie etwa Luftwaffenstützpunkte zu benützen. Aber die Türkei ist auf die US-Armee angewiesen.»