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International Videoüberwachung ist nicht auf Täteridentifikation ausgerichtet

Nach den Anschlägen am Brüsseler Flughafen verbreitet sich rasch ein Bild: Die drei Hauptverdächtigen in der Abfertigungshalle. Zur Identifikation der Attentäter fehlt es den Bildern aus der Überwachungskamera aber an Schärfe. Wieso geht das nicht besser? Experten schaffen Klarheit.

Die Rede ist von dem «Mann mit dem Hut». Eine genauere Identifikation des mutmasslichen dritten Beteiligten an den Anschlägen am Flughafen in Brüssel lässt das Bildmaterial nicht zu. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Fahndung.

«Videoüberwachungssysteme an öffentlichen, hoch frequentierten Orten sind noch längst nicht so flächendeckend, dass man eine detailgetreue Identifikation möglicher Täter mit den Aufnahmen garantiert werden kann», betont Thomas Adler vom Schweizerischen Verband der Errichter von Sicherheitsanlagen (SES).

Die an Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen oder Parkplätzen eingesetzten Videoüberwachungssysteme seien heute typischerweise noch nicht auf eine Täteridentifikation ausgerichtet.

Täteridentifikation als Zufallstreffer

Als Beispiel nennt Adler ein Bahnperron von 200 Metern Länge, ausgestattet mit drei bis vier Videokameras. Beim dabei zugrunde liegenden Schutzziel gehe es meistens darum, verhaltensauffällige Szenen rund um das Gleis, zum Beispiel eine Schlägerei, Störungen im Personenfluss oder aber einen zurückgelassenen, verdächtigen Gegenstand von einer Beobachtungszentrale aus zu erkennen. «Die Erkennung einzelner Personen steht nicht im Vordergrund», sagt der Spezialist für Videoüberwachungssysteme.

Die Erkennung einzelner Personen steht nicht im Vordergrund
Autor: Thomas Adler Verband Schweizerischer Errichter von Sicherheitsanlagen

Ob es sich nun um ein Gesicht oder um ein Fahrzeugkennzeichen handle: «Der Bildsensor von Überwachungskameras – genauso wie für jegliche andere Kameras – hat seine Grenzen», bestätigt Luc Van Gool vom Computer Vision Lab der ETH Zürich.

«Je nach Bildsensor kann man unendlich reinzoomen, man erhält nicht mehr Informationen; die Auflösung ist von der Anzahl Pixel her begrenzt», betont der Professor für Bildverarbeitung. Zudem würden viele dieser Kameras über einen Zeitraffer funktionieren, so dass keine Garantie bestehe, dass der bestmögliche Moment für ein detailliertes Bild erfasst werde.

EN Norm 50132-7

Box aufklappen Box zuklappen

Gemäss der Norm unterscheidet man in der Videoüberwachung sechs Qualitätsstufen. Eine Beobachtungskamera erreicht demnach eine Detailschärfe von 4 Pixel pro Gesicht, was eine Identifikation verunmöglicht. Um eine Person identifizieren oder gar überprüfen zu können, setzt die Norm eine Auflösung von 40-160 Pixel pro Gesicht voraus.

Vor allem eine Frage der Dichte

Die EN Norm 50132-7 (siehe Box) gibt eine klare Hilfestellung, welche Kamera-Auflösungen benötigt werden um Personen identifizieren zu können, erklärt Adler. Um eine angemessene Detailschärfe zu erhalten müsste daher die Auflösung einer Kamera vier- bis sechzehnmal höher sein als sie eine reine Beobachtungskamera typischerweise erreiche.

Oftmals werde aus primär ökonomischen Gründen eine Identifikationskamera nur an neuralgischen Punkten wie einer Schleuse, beispielsweise im Bereich der Passkontrollen an Flughäfen, eingesetzt.

Die Qualität der Bilder eines Videoüberwachungssystems für eine grössere Fläche stosse deshalb «eher bei der zur Identifikation notwendigen Dichte der eingesetzten Kameras als bei der Technik an die Grenze», fasst Adler zusammen.

Höhere Kamera-Auflösungen alleine werden nicht das ganze Problem lösen
Autor: Luc Van Gool Computer Vision Lab ETH Zürich

Bessere Resultate seien vor allem davon abhängig, dass man noch mehr Daten aus zusätzliche Kamerapositionen sammelt, betont auch Van Gool. Hier rücke die Frage der Kosten in den Fokus: «Man braucht schlicht sehr viele Kameras, was ein Überwachungssystem auch aus finanzieller Sicht zur Herausforderung macht. Höhere Kamera-Auflösungen alleine werden nicht das ganze Problem lösen.»

Kostenexplosion versus öffentlichen Druck

Geht es um den finanziellen Aufwand, muss man sich das gesamte Sicherheitssystem vor Augen führen, das hinter einer Videoüberwachung eines öffentlichen Raums steckt. «Solche Videoüberwachungssysteme haben gerne einen Lebenszyklus von sieben bis zehn Jahren», schätzt Adler. Das sei nicht vergleichbar mit sehr kurzen Innovationszyklen neuerer Technik wie beispielsweise bei den Smartphones.

Ob trotz hoher Kosten in neue Systeme investiert werde, hängt für Adler vor allem von der Reaktion der Öffentlichkeit ab. Er könne sich gut vorstellen, dass bei einer direkten Betroffenheit von Terroranschlägen der Druck auf eine entsprechende Aufrüstung rasch steige.

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