Hans-Dietrich Genscher war das aussenpolitische Gewissen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl sowie der subtile Vordenker der deutschen Diplomatie. Das vielleicht wichtigste Dokument zur deutschen Einigung – den «Zwei-plus-Vier-Vertrag» – unterzeichnete Hans-Dietrich Genscher persönlich.
Die Briten und Amerikaner hatte er im Boot. Grosse Bedenken zur deutschen Einigung hätten die Franzosen gehabt, so Genscher. Der damalige französische Präsident François Mitterand habe ihn in der Zeit der Verhandlungen zur Seite genommen und gefragt: «Ich frage Sie, Herr Minister, wird ein vereintes Deutschland den europäischen Weg der jetzigen Bundesrepublik fortsetzen, oder wird es die alten Wege – das Streben nach der Vorherrschaft in Europa – neu beschreiten?» In diesem Fall werde Frankreich die alte Allianz mit Russland neu beleben, habe Mitterand ihm mitgeteilt.
Weil Deutschland zustimmte, sich voll und ganz in Europa einzubinden, brauchte es die alte Allianz wie im ersten Weltkrieg jedoch nicht. Genscher und Kohl mussten aber auch die politisch und wirtschaftlich angeschlagene Sowjetunion überzeugen. Sie boten Kremlchef Michael Gorbatschow eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem geeinten Deutschland an. «So kam es, dass am Ende Gorbatschow erkannt hat, welche Vorteile auch für Russland in einem geeinten Deutschland liegen.»
Nicht Macht, sondern Verantwortung
Drei Wochen nach der Unterzeichnung feierte Deutschland die Wiedervereinigung. Und ist heute – 25 Jahre danach – wirtschaftlich und politisch führend in Europa. Eine Rolle die nicht auf Macht, sondern auf Verantwortungspolitik basieren müsse, so Genscher.
«Wir sind heute dort angekommen, wo wir eigentlich immer hätten sein müssen: in der Mitte Europas, als Verbindung», sagt Genscher. «Das sind die Massstäbe, die wir an unsere eigene Politik legen müssen. Und ich denke, es sind noch die Massstäbe, die unsere Nachbarn zu Recht an uns legen.» Massstäbe die Genscher vor 25 Jahren mit vorgegeben hat.