Staatverschuldung
Die Tories haben das Land nach der Finanzkrise in einem enorm verschuldeten Zustand übernommen. Ein Sparprogramm war deshalb sicher nötig – auch wenn es der Bevölkerung viel abverlangt. Vor allem Entlassungen im öffentlichen Dienst haben für Unruhe gesorgt. Und das Sparen soll weiter gehen: Cameron will weitere 33 Milliarden Pfund einsparen.
Die Bemühungen der Regierung tragen durchaus Früchte. Für jede im öffentlichen Dienst gestrichene Stelle wurden fünf neue Arbeitsplätze geschaffen, auch dank Steuererleichterungen für Arbeitgeber. Sozialhilfe wird gezielt vom Arbeitsmarkt weg auf Alte, Kranke und Behinderte gelenkt.
Der britischen Wirtschaft geht es derzeit so gut wie fast keiner anderen in Europa. Cameron verweist immer wieder gerne darauf, dass keine Wirtschaft so schnell wächst wie die britische. Doch in der Realität merken die normalen Bürger davon wenig – sie fühlen sich nicht besser dran als vor fünf Jahren. Deshalb fährt Labour auch konsequent die «Cost of Living»-Strategie, welche beweisen soll, dass vom Aufschwung nur reiche Briten und die (Finanz-)Industrie profitierten.
Verarmt ist das Land nicht, aber allein die Anzahl der Food-Banks, also Essensausgaben für sozial Benachteiligte, legen Zeugnis ab von der schwierigen Situation, in welcher viele sind.
Homo-Ehe
Die Homo-Ehe gilt als bestes Beispiel für Camerons modernes, eher liberales Politikverständnis.
So war er einst als Tory-Kandidat ins Rennen gestiegen, mittlerweile wird ihm aber immer mehr ein «Thatcher Tory»-Etikett angehängt, und dies nur zum Teil zu Recht.
Gegen viele Widerstände (auch in der eigenen Partei) hat er die Homo-Ehe durchgebracht und sich dabei in der Homosexuellen-Gemeinde viel Sympathie geholt.
Stimmen wird ihn das am 7. Mai kaum kosten, aber in seiner Partei hat er sich natürlich auch Feinde gemacht. Dem konservativen, euroskeptischen und Immigrations-feindlichen Lager der Konservativen ist Cameron zu liberal. Er treibe damit viele traditionellen Wähler zu UKIP, so der Vorwurf. Miliband hat in der Debatte auch gesagt, die Homo-Ehe sei Camerons grösstes Verdienst gewesen – so etwas wie eine elegante Ohrfeige!
EU-Referendum
Die EU-Frage ist so etwas wie die Archilles-Ferse Camerons. Auch, weil man weiterhin nicht genau weiss, was er selber genau will. Es scheint, als wäre er tatsächlich im Schwitzkasten der euro-skeptischen Hinterbänkler seiner Partei, die mehr oder weniger laut vor einem Erfolg von UKIP und deren EU-Politik warnen.
Nicht wenige Tories stehen der EU ebenfalls negativ gegenüber. Camerons Ankündigung eines Referendums vor Ende 2017 ist denn auch eine Art Kniefall vor diesen Kreisen. Er selber vertritt ja die Meinung, man müsse zuerst die britische Mitgliedschaft in Brüssel neu verhandeln und dann mit besseren Konditionen in der Union verbleiben.
Aber wie realistisch das ist, bleibt fraglich. Bei der Diskussion um die Nachzahlungen vor einigen Monaten ist der Premier am Ende schliesslich auch als Verlierer vom Feld gezogen. Ob er es tatsächlich schafft, bessere Konditionen heraus zu holen, steht deshalb in den Sternen. Und weil er gleichzeitig den Euroskeptikern (anders als Labour-Chef Ed Miliband) nicht resolut entgegentritt, hat die Welt mit ihrem Schlafwandler-Bild nicht ganz unrecht.
Unabhängigkeit Schottlands
Ein Ja zum Referendum der Schotten hätte Cameron politisch kaum überlebt. In seiner Partei wurden schon die Messer gewetzt. Er selber hat den Ernst der Lage sicher viel zu lang nicht gesehen. Erst sehr spät hat er sich in der Referendumsfrage engagiert und den Verbleib Schottlands mit sehr vielen Zugeständnissen erkauft.
Die zugesicherten Autonomien werden mit Bestimmtheit auch die anderen GB-Teilstaaten auf den Plan rufen. Auch sie werden in gewissen Bereichen mehr zu sagen haben wollen. Eines der ganz grossen Themen betrifft England. Dieses hat nämlich kein eigenes Parlament und viele fragen sich, warum Schotten, Waliser und Nordiren über die englische Politik mitbestimmen können, die Engländer im Gegenzug aber nicht. Hier hat Cameron die Büchse der Pandora geöffnet, die er so schnell nicht mehr zubekommt.
Kriege/Terrorbekämpfung
Die Syrien-Abstimmung 2013 war sicher Camerons peinlichster Moment, auch weil er seinen Verbündeten wie Obama schon zugesichert hatte, beim Einsatz mitzumachen.
Der Premier hat die Situation aber völlig falsch eingeschätzt: 30 Parteikollegen stimmen am Ende gegen den Einsatz. Cameron musste sich daraufhin den Vorwurf gefallen lassen, er habe die Tories nicht im Griff. Es gab auch Rücktrittsforderungen.
Als es vor einigen Monaten um die Frage ging, ob man den IS militärisch bekämpfen soll, kamen Erinnerungen an diese Schmach auf. Aber dieses Mal hatte Cameron – auch dank der Zusicherung von Labour – leichtes Spiel und konnte international Punkte gutmachen. Auch wenn der tatsächliche Einsatz der Briten eher kleiner Natur ist.
Bezüglich Terrorbekämpfung gibt sich Cameron äusserst hart. Das muss er auch, denn dem Land droht – auch wegen der Hunderten von Dschihadisten in Irak und Syrien – tatsächlich Terror. Die Warnstufe ist weiterhin auf dem zweithöchsten Level, und viele befürchten, dass die Heimkehrer Gewalt und Terror säen könnten. Ganz zu schweigen von den Islamisten in Grossbritannien selbst. Ein weiteres Problem ist die weiterhin hohe Zahl der Dschihad-Reisenden (auch viele Frauen), die es zum IS zieht.
Fragen, ob man bei der Integration von Muslimen grundlegende Fehler gemacht hat, werden weiter sehr heftig diskutiert. Hat sich – auch aufgrund der liberalen Laissez-Faire-Politik – eine islamistische Parallelgesellschaft in Grossbritannien entwickelt, die mit den westlichen Werten komplett gebrochen hat? Für viele Politiker am rechten Rand ist die Antwort darauf ein klares Ja. Dieses Thema wird für Cameron deshalb eines der wichtigsten bleiben.
(SRF 4 News, 16.04., 17:00 Uhr)