Zufall war der Angriff auf das Spital von Abs durch die von Saudi-Arabien geführte Kriegsallianz kaum. Denn Médecins Sans Frontières hatte die Koordinaten den Kriegsparteien im Jemen mitgeteilt. Ein gezielter Angriff also? Thomas Nierle, der Präsident von MSF-Schweiz, weiss es nicht.
«Diese Frage muss man den Saudis stellen. Andererseits haben wir schon den Eindruck, dass zivile Einrichtungen – Krankenhäuser eingeschlossen – systematisch angegriffen werden.» Das betreffe nicht nur den Jemen, sondern auch den Bürgerkrieg in Syrien, sagt Nierle: «Auf diese Situation müssen wir uns verstärkt einstellen».
Völkerrecht als Randnotiz
Humanitäre Organisationen in Kriegsgebieten werden ihre Sicherheitsmassnahmen erhöhen müssen, folgert Nierle. Dabei stehen sie in einem Konflikt zwischen Sicherheit und ihrem medizinischen Auftrag:
«Entweder man geht in den Untergrund und eröffnet Krankenhäuser, die den Kriegsparteien nicht mehr bekannt gegeben werden.» Dies würde jedoch eine «qualitative medizinische Versorgung» beinahe verunmöglichen, so der Präsident von MSF-Schweiz. Die Alternative: Verhandlungen mit den Kriegsparteien, damit die Zwischenfälle künftig ausblieben. «Die Arbeit in Syrien oder im Jemen ist aber extrem schwierig geworden, weil sich die Übergriffe enorm gehäuft haben.»
Dabei ist das humanitäre Völkerrecht klar: Gezielte militärische Angriffe gegen Gesundheitseinrichtungen verstossen gegen die Genfer Konventionen und sind ein Kriegsverbrechen. Noch im Mai hat der Sicherheitsrat der UNO mit einer Resolution bekräftigt, dass Spitäler unter keinen Umständen zum Ziel gemacht werden dürfen. Ohne nachhaltige Wirkung, sagt MSF-Präsident Nierle: «Man hat den Eindruck, dass sich in der internationalen Gemeinschaft eine Laisser-faire-Attitüde eingestellt hat. Das ist inakzeptabel.»
Das Veto-Recht im UNO-Sicherheitsrat muss in humanitären Krisensituationen ausgesetzt werden.
Denn die Kriegsparteien können sich in der Regel darauf verlassen, dass sie durch Grossmächte geschützt werden – das sei im Jemen genauso wie in Syrien, sagt Reto Rufer, Experte für den arabischen Raum bei Amnesty-International. Rückendeckung bekommen sie nicht bloss durch deren Vetorecht im Sicherheitsrat der UNO, sondern auch durch Waffenlieferungen. Im Syrien-Konflikt seien es vor allem die Russen, im Jemen-Konflikt vor allem die USA und gewisse EU-Länder, die Waffen an Saudi-Arabien lieferten.
In beiden Konstellationen sei die UNO blockiert, so Rufer: «Umso wichtiger wäre es, die Entscheidungsmechanismen in humanitären Krisensituationen zu reformieren, das Veto-Recht im UNO-Sicherheitsrat müsste ausgesetzt werden.» Dies würde es der UNO ermöglichen, Untersuchungsmissionen zu entsenden und bei Nachweis von Kriegsverbrechen den Internationalen Strafgerichtshof einschalten zu können.
Die Reform des Sicherheitsrates der UNO steht seit Jahren auf der Traktandenliste – eine langfristige Angelegenheit. Die Folgen eines Angriffs auf ein Spital seien ebenfalls langfristig spürbar, sagt Thomas Nierle, der Präsident von MSF-Schweiz. Als Beispiel nennt er das Spital von Kunduz, das Ende letzten Jahres von der US-Luftwaffe angegriffen wurde – irrtümlich, wie diese sagt. Die Einrichtung sei immer noch nicht «funktionell», beklagt Nierle.
Das Spital von Kundus war die wichtigste medizinische Einrichtung der Region. Genauso wie das Spital von in der Provinz Hadscha. Die medizinische Versorgung im Norden Jemens wird noch lange unter diesem Angriff leiden.