Andreij Kurkow ist ethnischer Russe. Aber eben auch ein ukrainischer Staatsbürger und Schriftsteller. Das muss er immer wieder betonen, besonders in der Westukraine, wo noch vor 20 Jahren russischsprachige Schriftsteller geächtet wurden. «19 Jahre lang habe ich das Recht verteidigt, dass sich russischsprachige Schriftsteller als ukrainische Schriftsteller bezeichnen dürfen», sagt Kurkow. «Heute weiss man auch in der Westukraine, dass ich ethnischer Russe bin, und es wird toleriert. Das war früher anders.»
Kurkow ist also ein Ukrainer, der russisch und ukrainisch spricht, genauso wie die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer. Und Kurkow ist in der Ukraine vor allem ein russischsprachiger Intellektueller, dessen Stimme gehört wird, der korrupte Oligarchen anprangert und politische Intrigen der Mächtigen entlarvt. Egal, ob die Mächtigen Russen oder Ukrainer sind.
Sarkasmus und Selbstironie prägen dabei seinen Stil. Doch wenn es um die aktuelle Krise in der Ukraine geht, verschwindet jeder Schalk aus Kurkwos Augen. «Sollte es in der Ukraine tatsächlich zu einem Bürgerkrieg kommen, dann nur, weil er von aussen angezettelt und provoziert wird», sagt Kurkow. Und meint damit Moskau, das die Unruhen in Luhansk, Donezk und andern Städten in der Ostukraine gezielt schüre.
Ganz besonders ärgert sich Kurkow, dass Russland immer wieder den Mythos über ukrainische Faschisten und Nationalisten im Westen des Landes pflegt. «Die grössten Mythen ranken sich um die Gruppe, die sich Pravi Sektor (Rechter Sektor - Anm. der Redaktion) nennt. Den gibt es tatsächlich, ebenso die Nationalisten. Aber leider vergisst Russland immer zu erwähnen, dass 75 Prozent dieses Rechten Sektors aus der Ostukraine kommen und viele von ihnen russischsprachig sind. Selbst ihr Führer Dmitro Jaosch.»
Welches Interesse Russland daran hat, den Konflikt in der Ukraine anzuheizen, ist für Andrej Kurkow klar: Moskau wolle auf jeden Fall die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai verhindern. «Nach dieser Wahl hätte die Ukraine einen rechtmässig gewählten Präsidenten und Putin könnte den abgesetzten Janukowitsch nicht weiter als legitimen Präsidenten bezeichnen», so Kurkow.
Ein Land, das die regionale Trennung nie überwunden hat
Bei der Besetzung der Krim habe sich Putin juristisch auf ein Schreiben von Janukowitsch gestützt, in dem dieser ihn um Hilfe gerufen habe. «Solange es hier keinen legitimen Präsidenten gibt, wird Putin wohl über weitere Blankochecks mit Janukowitschs Unterschrift verfügen.» Die Wahlen am 25. Mai seien für die Ukraine somit existenziell. «Es geht um Sein oder Nichtsein für den ukrainischen Staat.»
Um Sein oder Nichtsein eines Landes, das die regionale Trennung in den mehr als 20 Jahren seiner Unabhängigkeit nie hat überwinden können. Selbstkritisch räumt der Ukrainer Kurkow ein: Leider sei es keinem ukrainischen Präsidenten gelungen, diesen Graben zwischen Ost und West, zwischen Russland und Europa, zu überwinden. Leonid Kutschma, von 1995 bis 2004 an der Spitze des Staates, habe sich um die Ukrainer im Westen foutiert. Viktor Juschtschenko ab 2004 um die Ostukrainer und Janukowitsch ab 2010 wieder um den Westen, sagt Kurkow.
«Eine Versöhnung wurde nie versucht»
«Alle drei haben es verpasst, ein innenpolitisches Konzept auszuarbeiten, das auf die Vereinigung der Randgebiete der Ukraine abzielt, damit sich ein Einheitsstaat herausbilden könnte», so der Autor. «Nie wurde versucht, alle Seiten anzusprechen und zu versöhnen. Wenn dies nach den jetzigen Wahlen nicht gelingt, dann glaube ich, kann diese regionale Trennung gar nie überwunden werden.»
Kurkows Pessimismus ist verständlich. Bereits 2004 hat er in seinem Roman «Die letzte Liebe des Präsidenten» seinen Roman-Putin drohen lassen: Wenn der ukrainische Präsident nicht auf ihn, Putin, höre, werde er Sewastopol und die ganze Krim annektieren.
Es ist so gekommen. Vor zwei Wochen hat der Kreml Kurkows Roman, bei den Russen äusserst beliebt, auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt. Einen Kommentar dazu? Kurkow runzelt die Stirn. Ob man wissen wolle, was ihm dabei durch den Kopf gehe? «Eigentlich ist Putin ein hochbegabter Mensch: Es ist ihm gelungen, aus Russland ein Irrenhaus zu machen. 80 Prozent der russischen Bevölkerung stecken bereits in diesem Irrenhaus.»
Dumm sei nur, dass die meisten Fachärzte ins Ausland abgehauen seien. Und die Insassen natürlich wüssten, dass es ohne Ärzte keinen Weg aus dem Irrenhaus gebe. «Deshalb setzen sie Wahlen an und wählen die am meisten Gestörten zu ihren Ärzten und Vorgesetzten. Deswegen betrachte ich die russische Demokratie als eine der gefährlichsten der Welt.»