Was die Konkurrenz für Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in der eigenen Partei angeht, so gibt derzeit Linksaussen-Kandidat Bernie Sanders am meisten zu reden. Einschätzungen des Politologen Corey Cook, Dekan der Schule für öffentlichen Dienst der Boise State University.
SRF News: Weshalb kann Bernie Sanders so viele Leute begeistern?
Corey Cook: Es zeigt, dass es Leute auf der linken Seite gibt, die von den Demokraten enttäuscht sind. Viele von ihnen haben 2008 Barack Obama gewählt. Hillary Clinton überzeugt sie nicht. Sie suchen eine progressivere Alternative.
Was bedeutet sein Erfolg für die Kampagne von Hillary Clinton?
Ich denke, dass ihr dies sogar hilft. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sanders von den Demokraten zum offiziellen Kandidaten gekürt wird. Er hat viel weniger Geld und weniger Leute für seine Kampagne und wird sich höchstens in ein paar Gliedstaaten gegen Clinton durchsetzen. Also stellt er keine richtige Gefahr dar, im Gegenteil. Er hilft ihr, ihre Botschaft zu stärken. Und wenn sie in die generelle Präsidentschaftswahl einsteigt, kann sie sagen: «Ich bin nicht Bernie Sanders.» Das macht es viel schwieriger für die Republikaner, sie als weit links darzustellen.
Sanders wird sich höchstens in ein paar Gliedstaaten gegen Clinton durchsetzen.
Ist Clinton wegen der Konkurrenz von Sanders mit ihren Positionen nach links gerutscht?
Ein wenig, etwa bei der Frage der Stundentenschulden. Sie betont auch häufiger, dass sie stets eine linke Politik betrieben habe. Das ist ganz anders als 2008, als sie schon in den Vorwahlen um die Gunst der Durchschnittswähler buhlte und nicht sah, welche Begeisterung die Obama-Kampagne erzeugte. Diesmal ist sie vorbereitet.
Läuft sie nicht Gefahr, dass der linke Flügel, der in den Vorwahlen einen Drittel der Stimmen ausmacht, in den Präsidentschaftswahlen zu Hause bleibt?
Diese Gefahr besteht. Deshalb muss ein Kandidat oder eine Kandidatin den Vorwahlkampf anders führen als den Präsidentschaftswahlkampf. Er muss sich etwas in die Mitte verschieben. Das wird oft kritisiert, macht aber politisch Sinn. Clinton hat gute Karten: Sie vermag viele in der Partei zu begeistern, vor allem Frauen. In der generellen Wahl profitiert sie vom Bekanntheitsgrad und vom Rückhalt im Establishment der demokratischen Partei. Ich denke, dass sie diese Gratwanderung schaffen kann.
Clinton hat gute Karten: Sie vermag viele in der Partei zu begeistern, vor allem Frauen.
Was ist die Strategie von Bernie Sanders? Er ist eigentlich parteilos und bezeichnet sich als Sozialist. Dennoch tritt er als demokratischer Kandidat und nicht als Unabhängiger?
Ich weiss es nicht. Er sagt, dass er die Demokratische Partei ein wenig nach links und zurück zu ihren Wurzeln ziehen will. Bei den progressiven Demokraten herrscht der Eindruck, dass ihre letzten Präsidenten eine zu finanz- und konzernfreundliche Politik betrieben und viele Menschen damit zurückgelassen haben.
Viele sind von Obama enttäuscht. Sie dachten, er sei ein linker Kandidat, obwohl seine bisherigen Positionen eher auf einen gemässigten Politiker hindeuteten. Viele Progressive sind enttäuscht, dass er nicht mehr für den Mittelstand und ärmere Schichten in den USA getan hat. Sanders appelliert an diese Unzufriedenheit und sie gibt seiner Kampagne Schwung.
Viele Progressive sind enttäuscht, dass Obama nicht mehr für den Mittelstand und ärmere Schichten getan hat.
Offenbar denkt Vizepräsident Joe Biden über eine Kandidatur nach. Er ist ein sehr erfahrener und beliebter Politiker. Wäre er eine Gefahr für Clinton?
Nicht unbedingt, denn er ist schon mehrmals angetreten und erfolglos geblieben. Ich sehe keinen Weg für ihn, nominiert zu werden, wenn sie nicht stolpert. Und das ist genau der Punkt: Biden wird unter Druck gesetzt, weil demokratische Parteistrategen sich Sorgen machen, dass Clinton die Email-Affäre nicht los wird. Ihre Umfragewerte sind viel schneller und tiefer gesunken als erwartet. Parteistrategen fragen sich: Was passiert, wenn die Clinton-Kampagne versagt? Sanders kann dann nicht die einzige Alternative sein.
Besteht diese Gefahr wirklich? Wie schlimm kann denn die Email-Affäre noch werden?
Die Gefahr liegt weniger in den Details der Affäre, sondern vielmehr darin, dass sie die grössten Bedenken der Wählerinnen und Wähler bezüglich Hillary Clinton bestätigt: Sie vertrauen ihr nicht. Das ist das Problem. Auch andere Spitzenbeamte wie der frühere US-Aussenminister Colin Powell haben private Email-Adressen benutzt, aber es hat zu keinem Skandal geführt.
Haben die Demokraten ein Nachwuchsproblem, wenn sie verzweifelt auf alte Politikerinnen und Politiker setzen?
Tatsächlich: Biden ist über 70, Clinton ist 68, und manche wollen Jerry Brown, den gegen 80-jährigen Gouverneur Kaliforniens aufstellen. Alle sind schon mehrmals angetreten. Es sieht aus wie der Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1992! Wo sind die jungen, energischen Parteimitglieder, wo ist der Marco Rubio der demokratischen Partei? Dass die Demokraten nur betagte Alternativen zu Hillary Clinton ins Spiel bringen können, ist zutiefst problematisch für die Partei.
Das Gespräch führte Priscilla Imboden.